Wie fühlt es sich an, die Mutterschaft zu bereuen?

Wie fühlt es sich an, die Mutterschaft zu bereuen?

„Regretting motherhood (dt. Reue, Bedauern der Mutterschaft) ist der Titel einer 2015 veröffentlichten Studie der israelischen Soziologin Orna Donath. Die Autorin bezeichnet mit diesem Begriff Mütter, die es anhaltend bereuen, Mutter geworden zu sein, und die Rolle als Mutter negativ erleben.“ so Wikipedia

Franziska Burkhardt ist 36 Jahre und hat eine 8 jährige Tochter. Sie ist Medienkünstlerin und Pädagogin und setzt sich für klischeefreie Bildung ein. Dazu gibt sie Workshops und hält Vorträge mit einer feministische Perspektive auf Mutterschaft. Zudem ist sie Speakerin für #regrettingmotherhood. Denn das entspricht auch ihrer Geschichte und Perspektive. Sie empfindet immer wieder Reue Mutter geworden zu sein. Wie es dazu kam und wie sie sich dabei gefühlt hat, möchte sie uns heute erzählen.

Die Schwangerschaft kam unverhofft, die Trennung auch

Ich sitze in der Wohnung, in die ich damals hochschwanger und ahnungslos was auf mich zukommen wird einzog oder sagen wir mich hinein geklagt habe.

Als ich 2013 erfuhr dass ich schwanger bin, war ich alles andere als in einer entspannten, dafür vorbereiteten Lebenssituation. Ich war 28 und wir, der zukünftige Vater und ich, kannten uns nicht besonders gut. Mein Körper wollte trotz des Schockmoments das Kind austragen. Mein Verstand, mit seinen äußerst aufgeladenen und stereotypen Vorstellungen von einer kleinen Familie auch. Ich bildete mir ein, dass sich alles zum Guten wenden wird und dass ich es allein schaffen werde.

Im selben Jahr wurde meine Tochter im Spätherbst geboren. Einen Monat später, wurde ich verlassen mit dem Satz: „Ich kann das nicht.“ Es war eine Mischung aus Fassungslosigkeit, Enttäuschung, Traurigkeit, Überforderung und Angst.

„Ich schaffe das allein.“ war mein Glaubenssatz an dem ich festhielt. Jedoch lies mich dieser Satz in eine Situation geraten von der ich mich nach so vielen Jahren immer noch erhole.

Eine Situation mit Folgen

Da saß ich nun völlig starr und voller Angst, wie ich das alles bewältigen sollte. Ich hatte tatsächlich nicht so viel Zeit zum Nachdenken, weil ich für mein Baby funktionieren musste. Aber diese Zeit wünsche ich mir keinesfalls zurück. Wenn ich in Interviews darüber spreche, frage ich mich dann rückblickend jedes Mal, wie ich das alles nur geschafft habe.

Leider hatte das seinen Preis, was ich 2015 an meinem eigenen Leib erfahren sollte.

In diesem Jahr und an diesem einen Abend wusste ich, dass der Vater des Kindes in der Stadt sein würde. Da ich immer noch an ihm hing und tief im Inneren immer noch hoffte, er würde es sich eines Tages anders überlegen, fragte ich ihn, ob er vorbeikommen würde. Trotzdem er mich und sein Kind sitzen ließ. Mir fehlte Nähe und Zuneigung, gab ich doch alles meinem Kind, 24h & 365 Tage. Als er verneinte, dass er mich nicht besuchen möchte, überkam mich eine Welle von tiefer Traurigkeit, die sich weiter ausbreitete und sich plötzlich anfühlte als würde ich sterben. Mein Herz begann zu rasen, mir war schwindelig und ich hatte das Gefühl keine Luft zu bekommen. Ich hatte eine Panikattacke.

Damals wusste ich nicht das es eine Panikattacke war. Mein Kind schlief zu dem Zeitpunkt, es muss wohl gegen 22 Uhr gewesen sein. Ich schrieb dem Kindsvater, dass es mir sehr schlecht geht, er zeigte keine Reaktion. Also rief ich den Notarzt und setzte ihn in Kenntnis, dass dieser bald eintreffen würde und er sich gegebenenfalls um unser Kind kümmern muss. Als der Arzt hier war, wurden mir einige Fragen gestellt an die ich mich nicht mehr so gut erinnere. Ich wusste aber ich wollte weg, ich wollte mitgenommen werden, ich wollte, dass sich jemand um mich kümmert und ich sehnte mich nach dieser Nacht im Krankenhaus. Um mein Kind machte ich mir keine Gedanken, ich ließ einfach alles los und es war ein befreiendes Gefühl  in meinem Brustkorb, von einem Moment auf den anderen, alle Last von meinen Schultern fiel ab. Endlich kümmerte sich wer um mich.

Ich musste etwas ändern

Nach diesem Abend wurde klar, dass es so auf keinen Fall weitergehen kann. Ich wurde gefragt, ob ich erst einmal eine Auszeit nehmen könne und beschloss, allein zu meiner Schwester zu fahren.

Ich hatte plötzlich Zeit zum Nachdenken, zum in mich Gehen und hinein spüren. Ab diesem Zeitpunkt wurde mir so sehr bewusst in welcher Notlage ich mich befand. Es musste sich grundlegend etwas ändern. Ganz unerwartet schlichen sich Gedanken in mein Leben die meine Mutterschaft grundlegend hinterfragten. Ich empfand auf einmal Reue und damit verbunden kamen so viele Fragen auf: „Was habe ich mir dabei gedacht als ich mich entschied Mutter zu werden? Was habe ich mir dabei gedacht als ich sagte: Ich behalte das Kind und ich mache das auch allein? Ich dachte, weil ich eine Frau bin gehe ich im Muttersein auf? Warum dürfen Väter einfach so gehen? Warum bin allein mit all der Verantwortung?“

Passend zu meinem Reuegefühl erschien 2015 das Buch über bereuende Mütter von Orna Donath.

Durch einen schönen Zufall landete ich in einer feministischen Radiosendung, in der wir offen über das Thema sprachen. Damals war mir noch nicht klar, was in Deutschland rund um das Thema #regrettingmotherhood los war. Ich hatte dieses Gefühl und freute mich darüber mit anderen Frauen sprechen zu können. Ich habe es auch damals nicht pathologisiert, es war einfach so, ich bereute diese Mutterschaft, mal mehr mal weniger.

Was ist der Ursprung der Reue?

Die Radiosendung und das Kennenlernen der Frauen brachte mich an den Anfang meiner Forschungsreise rund um Mutterschaft. Auf einmal verspürte ich viel Aufruhr und Neugier was der Ursprung des Ganzen sei. Ich begriff durch das Buch der Soziologin Orna Donath, dass die Geschichten der Frauen und deren Reuegefühle einiges gemeinsam hatten. Das wollte ich herausfinden und verstehen.

Ab diesem Moment veränderte sich mein Leben.

Ich fing damals noch einmal an zu studieren, verband meine Kunst mit der Forschung über alles was mit Mutterschaft in Verbindung stand. Ich entdeckte zum ersten Mal was Feminismus und feministische Mutterschaft bedeutet. Ich legte ein digitales Archiv an, in dem ich alles sammelte was mir begegnete. Als Künstlerin fotografierte ich meinen Körper, mein Kind und lies all die neuen Erkenntnisse in meine Bilder mit einfließen.

2016 kamen körperliche Schmerzen hinzu, allen voran Rückenschmerzen mit denen ich bis heute versuche umzugehen. Zu schauen wann sie kommen, warum sie kommen und mir das zu gönnen was ich in dem Augenblick brauche. Das ist eine meiner größten Herausforderungen im Moment noch, mein Leben in ein Gleichgewicht zu bringen, um nicht wieder in einen derartigen Erschöpfungszustand zu geraten.

Ich möchte klar stellen, das es einen ganz bestimmten Auslöser für meine Reuegefühle gab, dahinter jedoch ein gesellschaftliches und ebenso ein biografisches Thema steckt.

Der Umstand mit so viel Verantwortung allein gelassen zu werden, verlassen zu werden und mit der unglaublich großen Aufopferung für andere dazu sein und anspruchslos zu sein, kenne ich aus meiner Kindheit und von meiner Mutter.

Der Zeitpunkt meines Zusammenbruchs bis heute, ist als ein emanzipatorischer Akt zu verstehen, eine Reise auf der ich nach und nach heile. Seelisch und körperlich.

Meine Reue ist ambivalent, oft ist sie einfach nicht da und manchmal, wenn mein Kind zu mir kommt und meine Woche ohne Kind vorbei ist, dann gerate ich in diesen Modus, der mich immer wieder in dieses starre, erdrückende Gefühl bringt. Es fühlt sich an als wäre ich eingesperrt in dieser Rolle als Mutter und könnte da nicht mehr hinaus, aber ich kenne den Ursprung des Ganzen.

Mein Ziel: andere an meiner Erfahrung Teilhaben lassen

Ich möchte meine Erfahrungen im Umgang mit Reue, die ich die letzten Jahre gemacht habe mit euch teilen und euch Müttern, die Reuegefühle empfinden die Möglichkeit geben, auf sich und ihre Gefühle zu schauen. Diesen mit Liebe und Akzeptanz zu begegnen an einem Ort an dem Reue Platz haben darf. Jede hat ein Recht auf Heilung und Verständnis.

Reuegefühle sind nichts unnormales, sie werden gesellschaftlich, wenn sie mit Mutterschaft in Verbindung stehen einfach nicht toleriert, sondern tabuisiert.

Deshalb plane ich ein Wochenende für Mütter mit Reuegefühlen, an dem wir uns als Frauen und Mütter in einer Gruppe treffen. Gehört, akzeptiert, toleriert und gehalten werden. Ruhe finden und uns frei und geschützt begegnen können. Das alles sind Bestandteile des Wochenendes. Eventuell findest du Antworten auf den Ursprung deiner Gefühle oder einen Weg, wie du sie annehmen und „Werkzeuge“ die du vielleicht in deinem Alltag einbauen kannst, um Schritt für Schritt deinen Weg als Frau und Mutter weiter zu gehen. Denn Mutter werden wir mit jedem Jahr aufs Neue, es ist und bleibt ein Prozess, in dem du dich ganz individuell entwickeln darfst.

Falls du Interesse an dem Wochenende hast, melde dich gerne unter: regrettingmotherhood@posteo.de

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