Ist mein Kind reif für die Schule und was bedeutet Rückstellung?

Ist mein Kind reif für die Schule und was bedeutet Rückstellung?

Schulreif oder nicht? In den letzten Jahren ist eine gewisse Verunsicherung bei dieser Frage unter Eltern entstanden. Das hat auch mit den geänderten gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich zu tun. Wir wollen hier ein paar wichtige Infos zu diesem Thema zusammenfassen und Zwillingsmama Anika zu Wort kommen lassen, die ihre ganz persönliche Geschichte erzählt, wie sie die Entscheidung für die Einschulung ihrer Mädchen getroffen hat.

„Mit der Einschulung werden Kinder schulpflichtig. Lange Zeit galt der 30. Juni als der allgemeine Stichtag, das heißt, dass alle Kinder, die bis zu diesem Termin sechs Jahre alt wurden, nach den Sommerferien desselben Jahres eingeschult wurden. 1997 beschloss die Kultusministerkonferenz eine zeitliche Ausdehnung der bis dahin geltenden Stichtagsregelungen. Seitdem können die Länder die Schulpflicht flexibler gestalten. Begünstigt wird durch den Beschluss eine vorzeitige Einschulung; eine Zurückstellung ist unter bestimmten Voraussetzungen zwar möglich, wird aber erschwert. Der aktuelle Zeitraum der unterschiedlichen Stichtage liegt zwischen dem 30. Juni und dem 30. September.“ (Quelle: bildungsserver)

Wie ist die Rückstellung grundsätzlich geregelt?

Eltern, die ihr Kind noch nicht zur Schule schicken möchten, können beantragen, dass die Schulleitung die Zurückstellung vom Schulbesuch ausspricht. Es handelt sich dabei also um ein Antragsverfahren und nicht um eine Entscheidung der Eltern. Wird es abgelehnt, kann allerdings Widerspruch eingelegt werden oder auch die Zurückstellung vom Schulbesuch gerichtlich behandelt werden. In den letzten Jahren wurden die Möglichkeiten zur Zurückstellung von der Schule in vielen Bundesländern eingeschränkt. Einige Länder lassen Zurückstellungen von der Schule noch aus intellektuellen, gesundheitlichen und sozial-emotionalen Gründen zu, während andere nur noch die intellektuellen und gesundheitlichen oder sogar nur noch gesundheitliche Gründe akzeptieren.

In welchen Fällen ist eine vorzeitige Einschulung sinnvoll und möglich?

Es gab eine Zeitlang den Trend, Kinder möglichst früh einzuschulen. Dieser Trend hat sich nun wieder geändert. Weiterhin gibt es in allen Bundesländern Regelungen für die „Kann-Kinder“. Das bedeutet für eine frühere Einschulung kann ein Antrag der Erziehungsberechtigten gestellt werden. Die Rahmenbedingungen sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich und vom Stichtag abhängig. In Schleswig-Holstein beispielsweise kann bei frühgeborenen Kindern der errechnete Entbindungstermin als Stichtag für die Einschulung herangezogen werden und soll verhindern, dass Kinder zu früh eingeschult werden.

Denn eine vorzeitige Einschulung sollte gut überlegt werden. Nicht nur die körperliche und geistige Reife allein sollte entscheidend sein. Das Kind sollte über eine gewisse innere Sicherheit und Selbständigkeit verfügen, um sich in der Klasse behaupten zu können und auch mit „Niederlagen” und Auseinandersetzungen gut umgehen können. Und natürlich in der Lage sein, lang genug still sitzen zu können.

Der Rat der Erzieherinnen des Kindes und des Kinderarztes oder eines Schulpsychologen ist empfehlenswert. Auch der Wunsch des Kindes ist wichtig. Bei Unsicherheit: Gönnt eurem Kind doch noch ein Jahr unbelasteter Kindheit!

Die Rückstellung von frühgeborenen Zwillingen – ein Erfahrungsbericht

Unsere Gastautorin und Zwillingsmama Anika Hilsmann möchte ihre frühgeborenen Zwillinge zurückstellen lassen. Sie steckt mitten im Antragsverfahren und ist im Grunde schon Profi was die Schul-Rückstellung von Kindern betrifft. Hier teilt sie ihre Erfahrungen und hat uns im Anschluss noch ein paar Fragen beantwortet.

Hallo ich bin Anika, 39 Jahre alt und das Gesicht hinter dem Instagram-Account @ruhrpottmama_a._hilsmann. Ich bin Mama von in der 29. SSW frühgeborenen, eineiigen Zwillingsmädchen, die ich liebevoll #Terrorzicken nenne.

In Nordrhein-Westfalen wird jedes Kind, das bis zum 30. September das sechste Lebensjahr vollendet hat, zum 1. August des gleichen Jahres schulpflichtig. Die #Terrorzicken sind am 2. September 2015 geboren und damit sogenannte Muss-Kinder für die Einschulung 2021 in NRW. Mein Plan war, sie zurückstellen zu lassen, dass also beide erst 2022 eingeschult werden, aber dazu gleich mehr.

Mit dieser Intention habe ich mich an den Kindergarten und Kinderarzt gewendet. Von beiden gab es jeweils die Befürwortung meines Plans.

Der Kindergarten schrieb zu jedem Kind einen entsprechenden Entwicklungsbericht. Darüber hinaus wird eine kinderpsychologische Untersuchung benötigt, die im besten Falle genau das auch besagt. Dabei wird ein Entwicklungstest und ein Konzentrationstest durchgeführt.

Ein Kind schulreif, das andere nicht! – Und nun?

Bei uns ergaben diese Tests, dass ein Kind schulfähig ist, also regulär in die Schule kann und das andere auf jeden Fall noch ein weiteres Jahr den Kindergarten besuchen sollte inklusive einer Ergotherapie, um die Konzentration, Aufmerksamkeit und den Bewegungsdrang zu minimieren bzw. zu erhöhen. Die Psychologin sprach sich auch darüber aus, dass das Kind gegebenenfalls auch medikamentöse Hilfe bräuchte, um den Schulalltag zu bewältigen. Dies müsste aber zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden. Bezüglich der Rückstellung hat der Amtsarzt das letzte Wort.

Was die medikamentöse Therapie betrifft, werden wir zuersteinmal andere Sachen ausschöpfen. Wenn dies aber notwendig ist, werden wir unser Kind auch medikamentös einstellen lassen. Letztendlich ist eine Schulzurückstellung sehr schwierig und sehr zeitaufwendig, da man unterschiedliche Berichte benötigt. Allein eine Frühgeburt reicht dafür nicht aus. Es müssen gravierende Erkrankungen oder Defizite vorliegen.

Ich würde mir wünschen, dass der Gesetzgeber endlich entscheidet, dass nach dem eigentlichen Entbindungstermin eingeschult wird oder aber die Eltern mehr Mitspracherecht bekommen.

Eineiige Zwillinge trennen?

Insgesamt blutet mein Mutterherz bei dem Gedanken, sie zu trennen. Aber nach etlichen Gesprächen und Tränen sehe ich das Ganze, wenn es so kommt, als Chance. Die Chance, das Schulkind optimal begleiten zu können, Zeit für sie zu haben. Während die andere noch im Kindergarten ist und da noch weiter spielen und für sich ihren eigenen Weg und Vorteil finden kann. Beide Kinder wissen, was passieren kann, dass diese Möglichkeit besteht und das Kindergartenkind freut sich weiter im Kindergarten zu bleiben, die andere ist glücklich, dass sie in die Schule geht.

Trotzdem möchten der Kinderarzt und wir dies zugunsten des „schulfähigen“ Kind nicht so stehen lassen und haben einen kurzfristigen Termin in einem SPZ (Sozialpädiatrischen Zentren in Deutschland sind Einrichtungen der ambulanten Krankenversorgung, die auf Kinder und Jugendliche spezialisiert sind) bekommen. Wir sind gespannt, wie es weitergeht.

Mein vorläufiges Fazit:

Jetzt kann ich schon sagen: Hört auf euer Bauchgefühl! Eine Rückstellung zu beantragen ist viel Rennerei, aber das was für eure Kids am besten ist, wisst ihr am besten.”

„Kein Kind sollte mit 5. Jahren in die Schule, es sei denn es ist dafür bereit und schon soweit.“

Liebe Anika, vielen Dank für den Einblick in deine persönliche Situation. Wie geht man konkret vor, wenn man eine Rückstellung für das eigene Kind erreichen will?

„Ein Jahr vor der Einschulung geht es los. Es wird ein Entwicklungsbericht vom Kindergarten sowie vom Kinderarzt wo dies befürwortet wird mit Begründung benötigt. Zudem ist ein Kinderpsychologische Gutachten, wo ebenfalls die Zurückstellung empfohlen nötig. Alle diese Sachen schickt man zum zuständigen Gesundheitsamt mit der eigenen Intention dahinter und wartet ab was sie dazu sagen.“

An wen wendet man sich, wenn man Bedenken bezüglich der bevorstehenden Einschulung hat?

„Den Kindergarten, Kinderarzt und gegebenenfalls das Gesundheitsamt.“

Wie fühlst du dich bei der Frage grundsätzlich aufgehoben im Bildungssystem und von Ämtern?

„Alleine gelassen. Es gibt nirgendwo eine wirklich konkrete Regelung wie man vorgehen sollte.“

Was befürwortest du grundsätzlich und was würdest du dir in der Regelung generell wünschen?

„Ich würde mir wünschen das nach dem eigentlichen Entbindungstermin eingeschult wird. Denn der steht dokumentiert im Mutterpass. So haben besonders Frühchen-Eltern und Kinder eine bessere Ausgangslage. Wenn das Kind soweit ist kann es ja früher oder normal eingeschult werden. Außerdem wünsche ich mir, dass die Eltern wieder mehr Mitspracherecht erhalten. Jetzt aktuell entscheidet das Gesundheitsamt und die Schulleitung.“

Welche Gefahren und Probleme siehst du in einer für ein Kind zu frühen Einschulung?

„Zu hoher Druck, Fehlstart, Frustration, Resignation. Außerdem das Gefühl versagt zu haben, auch im Hinblick auf ein eventuell späteres Sitzenbleiben. Allgemein: Verlustängste und Ängste.“

Foto: privat