Mein Kind braucht besondere Pflege

Vor oder nach der Geburt zu hören, dass das eigene Kind physisch und psychische Beeinträchtigungen haben wird und wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird ein selbstständiges Leben zu führen, ist ein Schock, den Eltern erstmal verarbeiten müssen. Coach und Beraterin Stephanie Poggemöller hat dies selbst erlebt und lernt und wächst daran seit sechs Jahren. Für uns hat sie aufgeschrieben, wie sie damit umgegangen ist und was ihr persönlich hilft, ihren Allltag zu bewältigen. 

Der erste Schock

Nach der Geburt meines 2. Kindes die Diagnose zu bekommen, dass es diverse kognitive und körperliche Beeinträchtigungen haben wird und wahrscheinlich nie ein selbstständiges Leben führt, hat mir damals erst mal den Boden unter den Füßen weggerissen. Mein Bild von einer vierköpfigen Familie war bis dato ein anderes. Ich hatte beide Kinder schon durch die Gegend rennen und spielen sehen. Hatte uns zusammen Fahrradausflüge machen, Gesellschaftsspiele spielen und beim Bouldern gesehen. Diese Bilder wurden mit einem Schlag zerstört und übrig blieb ein Haufen Scherben. 

Die Realität annehmen und verstehen und leben lernen

Es hat eine ganze Weile gedauert, die neue Realität anzunehmen und mich darauf einzulassen, ein pflege- und förderbedürftiges Kind zu haben, das wahrscheinlich Zeit seines Lebens immer irgendeine Form der Unterstützung braucht. Egal ob bei der Körperpflege, beim Sprechen, in alltäglichen Dingen, oder, oder, oder.

Und auch nach 6 Jahren gibt es immer noch und wieder Dinge, die auf vielen Ebenen herausfordernd sind. Sei es die Suche nach einer geeigneten Therapieform und einer passenden Kinderbetreuung. Oder das Hin und Her mit Ärzten und Krankenkassen, wenn es um Hilfsmittelanträge geht. Ebenso wie die schmerzende Vorstellung, dass mein Kind wahrscheinlich nie einen Vereinssport ausüben, an einer Übernachtungsparty teilnehmen, alleine mit Freunden um die Häuser ziehen wird oder ein selbstbestimmtes Leben ohne Hilfe von außen führen kann.

Zudem sind da noch die verständnislosen und wertenden Blicke der Umwelt, wenn sich – wie in unserem Fall – ein normal aussehendes Vorschulkind unnormal und auffällig verhält. Meist gefolgt von mitleidigen Blicken statt interessierten und mitfühlenden Fragen. Das alles anzunehmen und zu verarbeiten war/ist nicht immer einfach und kostet Kraft. 

Deshalb habe ich für Eltern mit pflegebedürftigen Kindern, denen es ähnlich geht,  ein paar Impulse zusammengeschrieben, die mir gut getan haben bzw. im Alltag immer noch gut tun.

Suche dir professionelle Beratung 

Ein halbes Jahr nach der Geburt meines zweiten Kindes habe ich mir psychologische Unterstützung gesucht. Diese Stunden haben mein Denken und meinen Wunsch nach Normalität zwar nicht von einem Tag auf den anderen zu 100% geändert, doch es war ein wichtiger Anstoß für einen inneren Veränderungsprozess. Ein Prozess des Loslassens alter Bilder. Des mich selber neu Kennenlernens. Des Bearbeitens bestehender Überzeugungen und des Annehmens der Situation und der Neuausrichtung auf die gegebenen Umstände, um auch damit eine neue Form des Glücklichseins zu finden. 

Natürlich gibt es immer wieder Rückschläge, und ich denke das ist auch völlig normal, denn wir Eltern vergleichen unsere Kinder auch mit anderen. Und ja, dabei wird auch deutlich, was alles fehlt und nicht da ist. Gleichzeitig zeigt es aber auch auf, wo andere Prioritäten im Leben liegen können, was wichtig ist und was eben auch nicht. Diese neue Sichtweise, wurde sicherlich durch diese externe Hilfe angelegt. Daher kann ich nur jedem empfehlen, sich in Veränderungsprozessen Unterstützung von außen zu holen, weil es einfach den Blickwinkel weitet. 

Mir hilft Spiritualität

Spiritualität ist ein weiterer Aspekt, der einen Platz in meinem Leben gefunden hat, seit unser zweites Kind auf der Welt ist. Sie gibt mir stellenweise andere Antworten auf Fragen, die sich mir stellen und zeigt mir in welchen Bereichen ich noch Wachstumspotential habe, eben gerade weil mein zweites Kind ist wie es ist.

 

Eine Herangehensweise, die vielleicht nicht für jeden geeignet ist, doch eine neugierige Offenheit dem gegenüber kann erkenntnisreich sein. Ich persönlich habe gelernt, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn ich daran ziehe. Dass ich es mir erlauben darf, nicht alles gleichzeitig zu tun. Und dass MEINE Vorstellungen bestimmter Dinge noch lange nicht die besten für mein Kind sein müssen.

Lass die Trauer und den Frust zu

Denn auch dieses vermeintlich negativen Gefühle brauchen Platz und Raum. Setze dir dafür am besten einen festen zeitlichen Rahmen z.B. 20 Min. in denen du einfach traurig sein und auch weinen darfst. Kuschel dich in ein Decke, mach dir einen Tee zünde dir eine Kerze an. Und lass diese Emotion bewusst da sein. Erlaube dir das für diesen Zeitraum und danach komm wieder zurück in das hier & jetzt.

Austausch mit Familien in ähnlichen Lebenssituationen 

Knüpfe Kontakte mit Familien, die in ähnlichen Lebenssituationen sind. Mir tut der Austausch mit anderen Eltern, die ebenfalls pflegebedürftige Kinder haben, immer gut, da das Gefühl des Verstandenwerdens ein anderes ist. Darüber hinaus kann man sich noch wertvolle Tipps für den Alltag gebe. Aus diesem Grund nimm über die Schule oder den Kindergarten deines Kindes Kontakt zu anderen Eltern auf. Auch für Geschwisterkinder ist es hilfreich zu erleben, dass es andere Geschwisterkinder in ähnlicher Situation gibt. Darüber hinaus gibt es in sozialen Netzwerken viele Gruppen, in denen sich Eltern von Kindern mit Pflegebedarf austauschen und gegenseitig mit hilfreichen Impulsen unterstützen. 

Bitte um Hilfe, wenn du sie brauchst 

Das Leben mit einem Kind, das beeinträchtigt und pflegebedürftig ist, geht gefühlt über das normale Maß der Anforderungen ans Eltern sein hinaus. Deshalb hat es nichts mit Versagen zu tun, um Hilfe zu bitten, wenn du das Gefühl hast, es alleine nicht mehr zu schaffen. Ganz im Gegenteil, es ist wichtig um Hilfe zu bitten, um die eigenen Kräfte zwischendurch zu schonen. Um aufzutanken und zu lernen, dass du selber nicht alles alleine machen musst. Daher schaffe dir ein Netzwerk aus Freunden, Verwandten, Nachbarn und aus externen Hilfsdiensten, die über Einrichtungen wie die Lebenshilfe, Helfende Hände, Caritas etc. in Anspruch zu nehmen sind. Diese Hilfsleistungen externer Dienste können sogar über die Verhinderungspflege abgerechnet werden. Erkundige dich dazu auch bei familienunterstützenden Diensten oder nimm Kontakt zum Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. auf.

Mein Tipp: 

Ganz wichtig, reduziere den Mental Load und teile dir mit deinem Partner gemeinsam die Verantwortung für alle anfallenden Aufgaben. Für Arztbesuche, Körperpflege, Therapien, Anträge etc..

Sorge für dich

Als Elternteil eines pflegebedürftigen Kindes bist du nochmal geforderter. Anfänglich sind die Unterschiede gar nicht so gravierend, denn jedes neugeborene Kind muss bis zu einem bestimmten Alter gewickelt und gepflegt werden. Ab einem bestimmten Punkt jedoch geht die Schere auf und die Phase des Pflegens ist keine Phase mehr sondern ein Dauerzustand. Und das zehrt.

Zudem wird es auch körperlich anstrengender, denn ein neunjähriges Kind zu heben und zu pflegen, ist körperlich eine andere Anstrengung, als ein Kleinkind mit anderthalb bis drei Jahren. Je nach Beeinträchtigung ist es auch nötig, dass immer eine Person da ist, die ein Auge auf das Kind hat, damit es sich nicht selber in Gefahrensituationen bringt. 

Auch diese Phase hört bei einer geistigen Beeinträchtigung mit zunehmendem Alter nicht einfach auf, sondern ist Teil des Alltags und damit auch das Mental Loads. Das alles fordert gedanklich immens, daher ist es umso wichtiger, sich regelmäßig Auszeiten zu nehmen. 

Deswegen möchte ich Dir ans Herz legen: Mache DEINE Auszeiten – die kleinen wie die großen zur Priorität und sorge für dich! Das habe ich in den letzten sechs Jahren wirklich mehr als gelernt, denn nur wenn die eigenen Energietanks voll sind, ist auch genug Energie für den Partner, das Geschwisterkind und den Job da. Daher ist es aus meiner Sicht fast schon überlebensnotwendig sich einen gesunden Egoismus anzueignen, Selbstfürsorge zu betreiben und auch die eigenen Bedürfnisse an vorderste Stelle zu stellen.

Mein Tipp: 

Bei uns sieht das konkret so aus, dass wir uns als Eltern gegenseitig ganz regelmäßig Freiräume einräumen. Das haben wir schon nach der Geburt unseres ersten Kindes gemacht, und seit der Geburt unseres zweiten Kindes, hat sich das noch mal intensiviert und wir profitieren alle davon. Darüber hinaus ist es auch wichtig Geschwister Kinder genug Einzelzeit und Raum einzuräumen, denn auch für sie ist die Alltagssituation stellenweise anstrengend und fordernd, und es braucht Raum, um auch mal nur für die eigenen Interessen Platz zu haben. Daher vereinbart feste Zeiten in der Woche und im Monat, an denen ihr euch Zeit für euch nehmt.

„Mache DEINE Auszeiten – die kleinen wie die großen zur Priorität und sorge für Dich!"

Das Positive sehen 

Ich weiß, ich weiß, das schreibt sich immer viel leichter als es getan ist. Gleichzeitig habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass gerade in Phasen, in denen der Optimismus flöten geht, der Blick auf die Erfolge und positiven Dinge wirklich hilfreich ist, um sich aus dem Tal der Tränen, das es natürlich auch gibt, wieder raus zu ziehen. 

Mein Tipp: 

Ich schreibe mir schon seit einigen Jahren Dinge auf, die in der Woche oder am Tag schön gewesen sind. Außerdem notiere ich mir all die kleinen und großen Lern- und Fördererfolge, die unser zweites Kind schon erreicht hat. 

Nach der Geburt, war z.B. nicht klar, ob er jemals laufen wird. Daher war es für uns ein riesiges „Geschenk“, als er mit vier Jahren endlich angefangen hat zu laufen, denn unser Alltag hat dadurch noch mal eine ganz andere Qualität bekommen. Der nächste große Meilenstein ist das Sprechen oder zumindest irgendeine Form der Kommunikation. Denn auch dort ist großer Frust, und ich erfreue mich über jede Initiative, die er ergreift, um auszudrücken was er möchte. Weil auch das den Alltag einfach so viel leichter macht. Über diese Erfolge und positiven Aspekte freue ich mich, denn sie machen unser Leben positiver. Und leichter. Und stärken mein Gefühl darauf zu vertrauen, dass es für viele Themen eine Lösung gibt. Wenn auch nicht von jetzt auf gleich, so doch jeden Tag ein bisschen mehr.

Ich teile meine Kontakte mit dir

Über die Jahre habe auch ich viele Infos zu (Spezial)Therapien, Hilfsdienste, Krankenhäusern, Kassenleistungen etc. zusammengetragen, die ich in einem Dokument gesammelt habe und gerne anderen Eltern zum Download bereitstellen möchte, weil ich weiß, wieviel Zeit diese Recherchen in Anspruch nehmen.  Hier geht´s zur Linkliste mit allen Infos >>