Wo sind meine Muttergefühle?

Wo sind meine Muttergefühle?

Muttergefühl, was ist das eigentlich genau? Sind das nicht auch Unsicherheit, Überforderung, Selbstzweifel, Wut und Verzweiflung? Wahrscheinlich kann man ohne genaue Zahlen zu kennen sagen, dass jede Mutter schon mal an ihrem persönlichen Tiefpunkt angekommen ist. Dank Schlafentzug und Mehrarbeit machen Körper und Geist irgendwann nicht mehr mit. Manche Frauen ordnen diese Gefühle, bzw. die Abwesenheit bestimmter anderer Gefühle, jedoch etwas anders für sich ein. Wir wollen uns dem Thema annähern und sind dankbar für Evelines ehrliche Gedanken, die mit diesem Thema auf uns zukam. Was für die ein oder andere für uns vielleicht extrem befremdlich und schwer vorstellbar ist, lohnt einen Perspektivwechsel. Denn wir alle wissen, dass Mamasein ein großer Schritt in eine unbekannte Aufgabe ist. Nicht Jede findet völlige Erfüllung in dieser neuen Rolle. Eveline möchte uns allen gerne davon erzählen, um auch andere Mamas mit ähnlichen Gefühlen damit zu erreichen, beruhigen, ermutigen und zu zeigen, dass sie nicht allein sind. 

Der Begriff “Regretting Motherhood” wurde 2015 als Titel einer veröffentlichten Studie der israelischen Soziologin Orna Donath bekannt. Die Autorin bezeichnet mit diesem Begriff Frauen, die es anhaltend bereuen, Mutter geworden zu sein, die Mutterrolle negativ erleben und empfinden, darin gefangen zu sein. Sie lieben ihre Kinder, hassen es aber gleichzeitig, Mütter zu sein. Vor einiger Zeit gingen die Ergebnisse von weiteren Studie durch die Presse. Der Inhalt sagte Folgendes aus: Wer Kinder bekommt, ist in den ersten Jahren durchschnittlich unglücklicher als kinderlose Paare. In der Grundschulzeit gibt es dann ein kurzes Hoch, das zur Pubertät wieder absinkt. Erst wenn die Kinder aus dem Haus sind, sind Eltern glücklicher als Gleichaltrige ohne Nachwuchs. Das entdeckten Forscher bereits 2003 bei der Auswertung von 97 Studien zum Thema Elternschaft allgemein.

Harter Stoff! Ist das wirkich so? Oder geht es hier eigentlich nur um ganz normale Gefühle, Unsicherheiten, Überforderungen und ständige Selbstzweifeln, die man als Mama immer freihaus mitgeliefert bekommt?

Evelines ist Mama einer 3-jährigen Tochter. Mama zu sein, macht sie unglücklich und sie bereut ihren Schritt immer wieder. Welche Gedanken ihr durch den Kopf gehen, wie sie damit umgeht und wie sie sich heute fühlt, möchte sie mit uns teilen…

Aber wenn sie dich einmal anlächelt, dann ist alles vergessen… Wirklich?

Wie viele andere Frauen hatte ich in der Schwangerschaft sehr wohl das Bild im Kopf, dass das Muttersein erst einmal anstrengend werden würde, aber immer im Kontext, dass die überwältigende Liebe zu meinem Kind das wieder wett machen würde. Schließlich hat das die Natur ja sicherlich gut durchdacht, oder?

Die Realität sah für mich leider anders aus

Direkt nach der Geburt war es natürlich da, dieses Glücksgefühl, mein Baby in den Armen zu halten, gepaart mit einer großen Portion Erleichterung, dass die Geburt endlich hinter mir lag. Ich hatte keine traumatische Geburt, alles ging seinen natürlichen Gang und mit 12 Stunden Wehen war ich auch völlig im Normbereich. Am nächsten Morgen verließ ich auf eigenen Wunsch bereits wieder das Krankenhaus und nachmittags kam die Hebamme zur ersten Nachsorge vorbei. So weit, so gut, alles wie in rosa Zuckerwatte getaucht, könnte man meinen.

Worauf mich niemand vorbereitet hatte: Es fühlte sich für mich wie knallharte Folter an, mit meinem oft schreienden Baby zu Hause zu sein, das in den ersten Wochen kaum länger am Stück schlief, quasi nicht abgelegt werden konnte und gefühlt dauernd an meine Brust wollte. Von einem Tag auf den anderen war ich von einer selbstbestimmten Person in eine funktionierende Still-, Trag- und Wickelmaschine verwandelt worden. Eigene Bedürfnisse und Empfindungen? Irrelevant…

Der erste einschneidende Moment, in dem ich an mir und meiner Rolle als Mutter zweifelte, kam, als meine Tochter 5 Wochen alt war. Ich saß eines Morgens – nach Wochen von max. 4 Stunden Schlaf pro Nacht (in Summe, nicht am Stück…) – am Esstisch, hatte mein Baby auf dem Schoß und heulte Rotz und Wasser, weil ich in meinem Kopf nur noch einen Gedanken hatte: Ich wollte weg! Für einen Moment geisterte der Gedanke durch meinen Kopf, eine Tasche zu packen und einfach abzuhauen, meinen Mann und meine Tochter zu verlassen und vor diesem neuen Leben zu fliehen, das sich für mich so falsch anfühlte. In mir keimte der Gedanke, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, indem ich Mutter geworden war.

„Ich wollte weg!“

Dieser Gedanke war in den darauffolgenden Wochen und Monaten mal mehr, mal weniger ausgeprägt – verlassen hat er mich bis heute nicht ganz. In meinem ersten Jahr als Mutter war ich mal mehr, mal weniger unglücklich, überfordert, gelangweilt und frustriert mit meinem Leben – doch die Momente, in denen ich wirklich glücklich war während meiner Elternzeit, kann ich an einer Hand abzählen.

Machten andere Mütter begeistert Fingerspiele für ihre Babys, saß ich angeödet daheim und die Zeit bis mein Baby endlich mal wieder schlief, zog sich wie Kaugummi. Ich beneidete meinen Mann um die geistige Forderung und die Freiheit, morgens erst einmal in Ruhe unter die Dusche und dann aus der Haustür gehen zu können.

Als meine Tochter mit knapp einem Jahr ihre Kita-Eingewöhnung begann, jubelte ich innerlich und von Trennungsschmerz war bei mir keine Spur. Ich war einfach nur froh, mal wieder etwas Zeit für mich zu haben und nicht nur „Mutter“ zu sein. Und ich sah wie mein Kind auf Grund des neuen Inputs aufblühte – endlich war es richtig ausgelastet mit all dem Trubel der Kita. Die ersten Tage zurück im Büro fühlten sich an wie Wellness – in Ruhe mit guten Gesprächen essen, sich endlich wieder wie ein kompetenter Mensch fühlen und etwas tun, das man gut kann.

Ich hatte endlich wieder die Kraft, in der Zeit, in der ich für mein Kind da war, auch richtig da zu sein. Ich war ausgeglichener, konnte mit ihren Stimmungen besser umgehen und selbst den Schlafmangel, der weiterhin anhielt, steckte ich besser weg. Ich merke, seit mein Kind die Autonomiephase entdeckt hat, dass ich auf sie umso besser eingehen kann, je mehr Zeit ich für mich allein habe – ob im Job oder daheim.

Der schmerzende Verlust der Eigenständigkeit

Für mich ist der Verlust der Eigenständigkeit der Faktor, der mich das Muttersein oft bereuen lässt. Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich leicht tut, sich für jemand anderen komplett aufzuopfern. Man könnte auch sagen, ich habe einen gesunden Egoismus und entspreche damit nicht dem typischen Frauen- und Mutterklischee. Ich liebe mein Kind über alles und natürlich gebe ich daher jetzt Tag für Tag mein Bestes.

 

Aber – hätte ich ohne die emotionale Komponente gewusst, was da über Jahre auf mich zukommen würde – ich hätte mich vermutlich gegen Kinder entschieden.

Ich kann heute noch nicht sagen, ob ich immer so empfinden werde oder ob dieses Phänomen bei mir zeitlich begrenzt sein wird und mit zunehmender persönlicher Freiheit nachlassen wird. Ebenso wie ich mir klar darüber bin, dass ich es eventuell langfristig auch bereut hätte, mich gegen ein Kind entschieden zu haben.

Alle Gefühle zur Mutterschaft sind ok

Was will ich damit sagen? Alle Gefühle zur Mutterschaft sind ok, jeder von uns ist anders und wir dürfen uns nicht dafür fertig machen, wenn wir nicht dem Bild der „perfekten“ Mutter entsprechen.

  • Wenn ihr die Mutterrolle gerade bereut ist das ok – egal ob das für immer so bleibt oder sich wieder ändert. Und vor allem: Ihr seid damit nicht alleine auf dieser Welt!
  • Geht ihr voll in eurer Mutterrolle auf ist das toll! Es gibt viele Frauen, die euch dafür beneiden, dass ihr euch mit eurer Entscheidung so wohlfühlt!
  • Habt ihr euch gegen Kinder entschieden: Toll, dass ihr so ehrlich zu euch und mutig seid!

Nichts ist in Stein gemeißelt, weder was wir in einer bestimmten Situation fühlen sollen, noch wie lange wir ein Gefühl mit uns herumtragen!

Mehr Toleranz für den individuellen Weg

Jeder Mensch ist einzigartig und muss seinen eigenen Weg im Leben finden. Ich würde mir wünschen, dass auch bei der Familiengründung (oder eben Nicht-Gründung) endlich etwas mehr Vielfalt und Toleranz Einzug hält. Das würde es uns allen leichter machen.

VON UNS FÜR DICH

Wir möchten hier über viele unterschiedliche Themen sprechen und lesen, die ganz unterschiedliche Mütter bewegen. Wir alle wollen diesen Mamas empathisch, mit Einfühlungsvermögen und weitestgehend wertfrei zuhören und ihnen eine Plattform bieten, andere Frauen zu erreichen, denen es ähnlich geht. Dies ist wichtig für uns alle. Wir sind so unterschiedlich, habe unterschiedliche Gefühle und Ansätze. Bitte vergesst dies nicht. Bringt Verständnis auf und wertet nicht. Nur so können wir eine Community sein, die sich stärkt und gegenseitig zur Seite steht.

Photo by Bethany Beck on Unsplash