Was Kränkungen und Abweisung mit Beziehungen machen

Was Kränkungen und Abweisung mit Beziehungen machen

Es gibt keine langjährigen Beziehungen ohne Kränkungen. Wie wir mit den kleinen und großen Verletzungen umgehen, ob wir uns beleidigt zurückziehen oder ob wir sie als Chance begreifen, an unserem Umgang zu arbeiten, haben wir jedoch selbst in der Hand. Autorin und Pädagogin Susanne Wawer hat gerade ein Buch veröffentlicht mit dem Titel “Beziehungskiller Kind?”. Darin beleuchtet sie ganz unterschiedliche Herausforderungen, die uns als Paar begegnen. Dabei spielen auch ständige gegenseitige Kränkungen eine große Rolle. Wie und warum bringen wir uns immer wieder in diese anstrengenden Situationen? Wie können wir Kränkungen vermeiden oder besser damit umgehen und wie schaffen wir es als Paar, an diesen Herausforderungen zu wachsen und wieder ins Gleichgewicht zu kommen? Diese Fragen versucht Susanne heute für SOCIAL MOMS zu beantworten.

Eine Freundin hat sich nach vielen Jahren und zwei gemeinsamen Kindern von ihrem Mann getrennt. Der Grund: Sie hat die Kränkungen nicht mehr ertragen. Es waren weniger harte Beschimpfungen, als vielmehr die kleinen, alltäglichen Unachtsamkeiten und die bissigen Bemerkungen, die zwischen ihnen hin und herflogen. Es verletzte sie, indem er sagte: „Ich würde gern mit dir tauschen. Dein Alltag ist so viel entspannter.“ Weil das in ihren Augen ihre täglichen Kämpfe und Nöte mit den Kindern zu einem Waldspaziergang degradierte. Es kränkte sie, wenn er wie selbstverständlich vom Tisch aufstand und sein Zeug nicht wegräumte. Denn in ihrer Wahrnehmung sagte er damit: „Für derart profane Aufgaben bin ich mir zu fein, aber du bist genau richtig.“ Vor allem traf es sie, dass er sie und ihre Belastungen nicht zu sehen schien. Er schaute durch sie hindurch, als wäre sie für ihn nicht viel mehr als die Summe ihrer Funktionen.

Das Grundproblem war, dass sie sich durch ihn entwertet fühlte. Aufgrund dieses Ungleichgewichts wehrte sie mit der Zeit jeden seiner körperlichen Annäherungsversuche ab. Sie wollte ihm zunächst wieder geistig nah sein und sich wertgeschätzt fühlen, um sich körperlich auf ihn einlassen zu können. Anstatt zu fragen, warum sie so distanziert sei und was sie sich wünschte, reagierte er beleidigt, zog er sich zurück und verschanzte sich immer öfter mit seinem Smartphone hinter einer verschlossenen Tür.

Die letzten Jahre haben beide in ihren jeweiligen Verletzungen geschmort und waren mit der Zeit immer weniger bereit, einen Schritt aufeinander zuzugehen. Beide weigerten sich beharrlich, sich verletzlich zu zeigen. Beide hatten Angst vor Zurückweisung. Statt miteinander zu reden, gingen sie sich mehr und mehr aus dem Weg, bis von ihrer Liebe und der einstigen Zuversicht nur noch ein Haufen Enttäuschung übrig war.

Immer diese Grabenkämpfe

Derartige Grabenkämpfe, in denen mindestens einer der Partner mauert, sind Vorreiter eines Beziehungsendes. Und sie kommen sehr viel häufiger vor, als man glaubt. Der Klassiker ist der, dass Liebende aufgrund von Kränkungen und Abweisungen aufhören, miteinander zu schlafen. Auch mein Mann und ich hatten so eine Phase.

Ich hatte mich zeitweise von ihm körperlich abgewiesen gefühlt. Wenn ich abends zu ihm ins Bett kroch und mich anschmiegte, hatte er nicht selten einen Wall aus technischen Geräten zwischen uns aufgebaut und ging nur recht spärlich auf meine Annäherungsversuche ein. Natürlich glaubte ich, er fände mich unattraktiv und zog mich getroffen zurück.

Als ich mich irgendwann dazu durchrang, ihn zu fragen, warum wir kaum noch miteinander schliefen, erfuhr ich, dass seine Allergie ihm seit Wochen zu schaffen machten und er sich abends meistens fühlte, als wäre ein Auto mehrmals über ihn drübergefahren.

Außerdem hatte die Tatsache, dass ich, solange die Kinder wach waren, alles wichtiger fand, als ihn, dazu geführt, dass er glaubte, er sei mir egal geworden. Weil für ihn nur die müde halbe Stunde vor dem abendlichen Koma übrigblieb und ich den Rest des Tages zu gestresst war, um mich auf ein Gespräch oder eine kleine, freundliche Fummelei einzulassen. Wir waren also beide aufgrund von ähnlichen Zurückweisungen gekränkt.

Also redeten wir darüber, dass wir beide unzufrieden mit so wenig Zärtlichkeit sind. Wir waren erleichtert, zu erfahren, dass unsere Bedürfnisse sich ähnelten und wir sie nur aneinander vorbei geäußert hatten. Nachdem wir uns versicherten, dass wir uns nicht unattraktiv und blöd fanden, redeten wir über unsere Grenzen, darüber, wie sich der Alltag mit Kindern für jeden von uns anfühlte und was überhaupt möglich war. Seitdem setzen wir uns auch tagsüber öfter zusammen. Wir fädeln gemeinsame Mittagessen oder einen morgendlichen Cafébesuch ein, wenn die Kinder in ihren Einrichtungen sind. Und wenn sie da sind und keine Ruhe geben, dürfen sie manchmal eine Sendung gucken, während wir in einem anderen Zimmer über Kunst und Politik sprechen oder uns in den Armen liegen.

Und wie in unserem Fall geht es vielen Paaren. Konflikte und Kränkungen basieren oft auf Missverständnissen. Es hilft, wenn wir wissen, dass der Partner oder die Partnerin so schlecht gelaunt war, weil er oder sie z.B. ein paar Stunden früher vom Chef zusammengefaltet worden ist. Aber um das herauszufinden und einordnen zu können, müssen wir nachfragen, uns einfühlen und reden. Wenn der Partner weiß, wie oft die stillende Mutter nachts geweckt wurde, hilft ihm das normalerweise, um ihrem desolaten Zustand und ihr ausweichendes Verhalten nicht als Gleichgültigkeit oder Abweisung zu interpretieren. Sie versucht vermutlich einfach nur, nicht vor Müdigkeit umzufallen.

Und genau auf diese Weise könnt ihr Grabenkämpfe verhindern oder auflösen: 

  • Nehmt Kränkungen und Abweisungen zum Anlass, um miteinander zu reden. Sagt nicht: „Du hast mir wehgetan“, sondern: „Diese Bemerkung/dieses Verhalten hat mich verletzt“.
  • Zieht euch nach einer Verletzung nicht dauerhaft zurück und lasst keine Tabus zu bestimmten Themen zu, sondern sucht das Gespräch, wenn euch etwas beschäftigt.
  • Viele bissige Bemerkungen haben wenig mit dem oder der Gekränkten zu tun. An dieser Stelle helfen gegenseitiges Verständnis und die Bitte, in Zukunft nicht mehr als Sandsack herhalten zu müssen.
  • Entschuldigungen und Wiedergutmachungen schaden nicht.

Kränkungen sind ein ganz normales Nebenprodukt der Liebe

Ich finde es wichtig, zu verstehen, dass es immer und naturgemäß zu Kränkungen kommt, wenn zwei Menschen sich mit sämtlichen ihrer Unterschiede, Erwartungen, Hoffnungen und Schwächen zusammentun. Und wo es nicht zu Kränkungen kommt, da sind sich die Beteiligten wahrscheinlich egal. Aber wenn wir jemanden lieben und wenn diese Liebe so zuversichtlich ist, dass ein Kind daraus hervorgeht, dann reicht gewöhnlich ein zu langer Blick auf den hübschen Nachbarn, ein schiefes Gesicht als Reaktion auf ein neues Kleidungsstück, eine Anekdote über eine frühere  Beziehung und wir sind gekränkt.

Solche kleinen Verletzungen tun einer Beziehung in vielen Fällen ganz gut, wenn sie eingebettet in eine Überzahl wertschätzender Bemerkungen vorkommen (Verhältnis mindestens 1 zu 4). So können sie dafür sorgen, dass wir uns nicht allzu sicher fühlen in unserem gemütlichen Nest und dass wir den anderen trotz seiner Nähe als reizvoll und interessant empfinden.

Wenn Verletzungen die Liebe infrage stellen

Schwere Kränkungen und Verletzungen stellen jedoch die Beziehung grundsätzlich infrage. In diesem Fall reicht es nicht zu sagen: Das hat mich getroffen. Und auch eine Entschuldigung ist viel zu wenig. 

Zwischen meinem Mann setzte eine tiefe Kränkung eine Krise in Gang. Er gestand mir eines Abends, dass er sich mehr nicht sicher sei, ob er mich noch liebte. Es war ein Gefühl, als hätte er mir mit einem Balken vor den Kopf geschlagen. In den vorangegangenen Jahren war ich in der Pflege und der Erziehung unserer Kinder nahezu vollständig verschwunden. Für unsere Partnerschaft war wenig Zeit und Kraft übrig geblieben. „So will ich nicht leben“, sagte er, „so nebeneinander her, jeder in seinem eigenen Hamsterrad und zwischendurch klatschen wir uns kurz ab.“

Die folgenden Wochen taumelte ich eher als dass ich ging. Aber wir fingen an, wieder miteinander zu reden und wir hörten auf, uns zugunsten des Ideals einer heilen Familie zu schonen. Wir sagten uns gegenseitig, was wir aneinander nicht leiden konnten, verrieten, dass wir zeitweise für Bekannte geschwärmt hatten und verabschiedeten uns von der Idee einer perfekten und absoluten Liebe. Doch mit der Zeit merkten wir, dass es ziemlich viele Dinge gab, die uns verbanden und die wir aneinander schätzten. Wir merkten vor allem, dass die Vorstellung, ohne einander weiter zu leben, für keinen von uns besonders verheißungsvoll war. Also setzten wir uns als Paar realistischer und nachsichtiger wieder zusammen.

Kränkungen als Anfang

Kränkungen können ein Anfang sein, ein Anlass, um alte Vorstellungen von Beziehungen und Harmonie zu hinterfragen und sich von ihnen zu verabschieden. Denn Veränderungen brauchen oft einen kräftigen Arschtritt oder die Angst vor dem Ende, um in Gang zu kommen. Auf diese Weise hat schon so mancher Seitensprung dafür gesorgt, dass sich Paare zum ersten Mal nach Jahren der Grabenkämpfe angeschrien und beleidigt haben, was nach zahlreichen Gesprächen und emotionalen Ausbrüchen dazu geführt hat, dass sie sich daran erinnerten, was sie am Anfang verbunden hat und warum sie geglaubt haben, dass sie dieses gewaltige Abenteuer, das gemeinsame Kinder bedeuten, gemeinsam meistern würden.

Seitensprünge, Schwärmereien und andere schwere Kränkungen sind meist eine Reaktion auf die Unzufriedenheit mit der eigenen Beziehung. Sie sind selten viel mehr als eine Flucht, eine Reaktion auf Abweisung, ein Versuch, das beschädigte Selbstvertrauen wiederherzustellen. Es hilft, solche Zusammenhänge zu erkennen und zu akzeptieren, dass wir alle nur Menschen sind, um jemandem zu verzeihen.

  • Kränkungen sind oft nur Reaktionen auf Verletzungen an anderer Stelle. Deshalb ist es sinnvoll, die eigentliche Ursache zu benennen bzw. herauszufinden, um Stellvertreterdiskussionen zu vermeiden.
  • Es ist leichter zu verzeihen und zu verstehen, dass es gar nicht so sehr um einen selbst geht, wenn man bereit ist, sich in den anderen hinein zu versetzen.
  • Die oberste Maxime im Umgang mit denen, die wir lieben, sollte immer sein: Wir wollen uns nichts Schlechtes. Weder möchten wir uns gegenseitig verletzen, noch loswerden. Deshalb sollten wir das Verhalten des Partners oder der Partnerin immer möglichst wohlwollend interpretieren. Denn Beziehungen werden mit den Jahren nicht leichter, dafür aber wichtiger und wertvoller.

Susannes neues Buch:

Beziehungskiller Kind?: Wie Eltern den Familien-Alltag harmonisch und gleichberechtigt leben >>

  • Taschenbuch: 208 Seiten
  • Verlag: TRIAS; Auflage: 1 (8. Juli 2020)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 343211138X
  • ISBN-13: 978-3432111384
  • Preis: 16,99 €

Photo by Hannah Busing on Unsplash