Die Geburt einer Mutter ist ein Prozess

Die Geburt einer Mutter ist ein Prozess

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Alle Mütter machen mit dem Mutterwerden einen Veränderungsprozess durch, der viele Lebensbereiche, Emotionales, das Zwischenmenschliche und sogar das Psychische betreffen kann. Diese Veränderungen können mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und jeder Mutter auch mehr oder weniger schwer fallen. Tatsache ist, wir verändern uns. Das Mutter-werden verändert uns. Und das geschieht nicht über Nacht, sondern ist ein Prozess. Das anzuerkennen sollte uns viel gnädiger mit uns machen, wenn wir mal zwiespältige Gefühle haben oder in die Mutterrolle erst reinwachsen müssen. 

Unsere Gesellschaft macht uns aber all das oft nicht leichter. Anstatt einfach in eine neue Rolle schlüpfen zu können und sich dort auszuprobieren und zu lernen, wird häufig Druck erzeugt: Denn neben dieser neuen Rolle, soll die alte genauso Realität bleiben. „Im Job und im Kleiderschrank darf man dir die Mutti nicht anmerken, aber gleichzeitig darf man dir als Mutter auch nicht anmerken, dass du einen Job (oder überhaupt andere Themen als dein Kind) hast.“

Aber STOP. Das kann ja gar nicht funktionieren, wenn wir gleichzeitig noch in einem Wandelprozess stecken, mindestens ein Kind versorgen müssen und sich unsere Aufgaben verdoppelt haben. Stolpern, hadern, straucheln ist also vorprogrammiert. Gleichzeitig sieht das Mama-sein auf Instagram doch so verdammt gut, glücklich und auch noch einfach aus. Selbstzweifel, Gewissensbissen oder Selbstvorwürfe können eine sehr logische Folge sein.

Wir haben mit Natalia und Sarah, den Schwesterherzen Doulas gesprochen, die Frauen beim Mutter werden unterstützen wollen und helfen wollen, den Prozess als das anzunehmen was er ist: Anstrengend.

Sie wollen den Begriff Muttertät etablieren, damit auch die Gesellschaft anerkennt, was zu diesem Wandel alles dazugehört. Denn wenn das gelingt, werden auch die Mütter “sich allgemein besser fühlen, mehr Verständnis für sich haben und ihren Wandel als etwas Positives anerkennen, wie eine Art Upgrade auf verschiedenen Ebenen.”

Wichtig ist deshalb, dass wir uns alle ehrlich unsere Geschichte erzählen und nicht nur die Highs, sondern auch die Lows teilen. Natalia und Sarah fangen mal an und erzählen noch so viel mehr, was wir leisten, was für Unterstützung wir uns holen sollten und was das alles verändern kann.

Sei gut zu dir und hole dir möglichst viel Unterstützung, denn es war nie als One-Woman-Job gedacht!

Natalia und Sarah sind Schwestern, Nachbarinnen und Kolleginnen sowohl hauptberuflich bei einem Konzern, als auch bei unserer nebenberuflichen Tätigkeit als Doula.

Natalia ist 36, hat 3 Kinder (6,5 und 3) und hat wie Sarah 30, 1 Sohn (5) BWL studiert. Nach Natalias Studium fing sie sofort an zu arbeiten und genoss ihre Tätigkeit auch sehr. Bei der 1. Rückkehr aus der Elternzeit ihrer Töchter spielte sie zum 1. Mal mit dem Gedanken, sich beruflich zu verändern. Auch Sarah spürte den Wunsch nach einer anderen Tätigkeit. Gleichzeitig fiel ihnen auf, dass ihr Interesse für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett immer weiter wuchs, statt wie bei den meisten, nach den Geburten wieder zu verschwinden. In ihren Freundeskreisen wurden sie immer mehr zur Anlaufstelle für Fragen rund um die Mutterschaft und merkten, wie sehr sie das motivierte und wie glücklich sie machte.

Liebe Natalia, liebe Sarah, ihr seid beide Mütter, wie war das Mutterwerden für euch?

Natalia: Es war ein absoluter Wunsch, schon immer!  Allerdings hatte ich mir vieles daran anders vorgestellt. Ich war zuvor ziemlich ausgeglichen, sportlich, beruflich erfolgreich, hatte schon ein wenig von der Welt gesehen, einen Hund großgezogen und dachte es wäre an der Zeit, mich nun um einen kleinen Menschen zu kümmern.

Dabei war der Plan, dass ich möglichst genau dieselbe Person bleibe, eben nur mit einem kleinen Mensch auf dem Arm.

Ich wehrte mich stark gegen alle auch nur leicht spürbaren Veränderungen. Überehrgeizig ging ich mit mir und auch meinem 1. Kind um, alles wollte ich richtig machen, tappte in die typischen „Erziehungsfallen“ und war mit meiner Performance oft sehr unzufrieden, weil z.B. mein 9 monatiges Kind noch nicht durchschlief.

Bereits sechs Wochen nach der ersten Geburt wurde ich unwissentlich schwanger und meine Erwartungen möglichst schnell wieder zurück zu meinem „alten“ Leben zurückzukehren, waren nach mehrfachen ungläubigen Schwangerschaftstests schnell begraben.

Es dauerte ca. zwei Jahre bis ich aus dem Still-, Windel-, Babybrei- etc.- Chaos rauskam und so langsam sowas wie Orientierung und einen Rhythmus in dieser neuen Welt fand. Zuvor war ich vollkommen überfordert und leider oft zu stolz, um nach Hilfe zu fragen.

Ich dachte, das müsste ich alles alleine schaffen, schließlich bin ich ja selber schuld an meiner Situation. Doch je mehr ich mich gegen die Veränderungen meiner Persönlichkeit wehrte und versuchte alles selbst zu schaffen, umso unglücklicher wurde ich. Außerdem war ich gereizt und voller schlechtem Gewissen, dass ich an (mein) Ideal der perfekten Mutter so gar nicht ran kam.

Meine berufliche Karriere war nach meiner Rückkehr auch sehr anders, ich hatte nicht mehr so viel Zeit für die Arbeit und irgendwie auch nicht mehr so viel Lust. Meine Abwesenheit von 1,5 Jahren führte dazu, dass ich mich nach der Rückkehr wieder neu beweisen musste und ständig gegen vollzeitarbeitende Singles oder Väter in meinen Augen „verlor“. Es war frustrierend, weil ich gefühlt nur von einem Task zum nächsten hetzte und doch weder beruflich noch privat glänzen konnte, eher das Gegenteil war der Fall, ich hatte in beiden „Jobs“ irgendwie immer ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, es nicht wirklich gut zu machen.

Erst mit der 3. Schwangerschaft ließ ich den Wandel zu und akzeptierte, dass sich in meinem Leben so viel verändert hat, vor allem aber, dass ich mich verändert habe. Das war der Anfang einer sehr spannenden und viel angenehmeren Reise. Mit dem Begriff „Muttertät“ fiel es mir im Alltag leichter, Mitgefühl für mich zu haben und auf meine Bedürfnisse zu achten. Dadurch habe ich auch mehr Energie und Geduld als vorher.

Sarah: Dadurch, dass Natalia schon 2 Kinder hatte, von denen ich sehr viel mitbekommen habe, gab es eigentlich kaum etwas, dass mich am Anfang überrascht hätte. Ich hatte jedoch sehr mit der Veränderung in mir zu kämpfen. Da ich jung Mutter geworden bin, hatten meine Freunde alle noch keine Kinder.

Das schönste Kompliment, das man mir damals machen konnte war, dass ich mich durch die Mutterschaft gar nicht verändert hätte und man es mir gar nicht anmerken würde, schon Mutter zu sein. Daran habe ich dann versucht, mit ganzer Kraft festzuhalten und mir möglichst keine Veränderung anmerken zu lassen. Doch leider hat mir das viel Energie geraubt und ich habe mich dadurch nur wenig mit mir selbst auseinandergesetzt.

Erst nachdem wir auf den Begriff Matrescence gestoßen sind, wurde mir das bewusst und ich habe mich zum ersten Mal auf diese Veränderung bewusst eingelassen, weil ich wusste, dadurch würde ich mir einen großen Gefallen tun, denn dagegen anzukämpfen ist unmöglich und macht alles nur schwerer.

Was hättet ihr euch für diese Zeit (anders) gewünscht? Und war das der Grund für euch beide eine beruflichen Wechsel zu vollziehen?

Natalia: Eine Anleitung! 😉 Nein, im Ernst. Ich hätte gerne gewusst, welche Veränderungen das Mutterwerden mit sich bringen kann und auch darf. Wie man sich am besten auf so ein einschneidendes Lebensereignis wie die Geburt vorbereitet und wie wichtig eine gute Unterstützung ist! Es liegt nämlich nicht am eigenen Können, wenn man sich als Mutter überfordert fühlt. Tatsächlich ist es anstrengend, weil es anstrengend ist! Wir brauchen ein Dorf und mehr Wertschätzung für die Anforderungen, denen wir als Eltern immer wieder begegnen.

Sarah: Ich hätte mir mehr Aufklärung gewünscht, von meiner Hebamme, von meiner Ärztin. Im Nachhinein wurde mir erst bewusst, dass ich sehr wenig über meine eigentlichen Optionen Bescheid wusste und fühlte mich um diese somit auch beraubt. Das war definitiv eine der größten Motivationen meinen Beruf zu wechseln, da ich mir wünsche, dass jede Frau die Informationen, die ihr zustehen und die sie erhalten möchte auch bekommt, damit sie ihre Optionen kennt und jede Entscheidung aufgeklärt und selbstbestimmt treffen kann. 

Was macht eine Doula genau? Und warum ist das Berufsbild in Deutschland kaum bekannt und verbreitet?

Eine Doula ist eine nicht medizinische, emotionale Unterstützerin der Frau während der Schwangerschaft, unter der Geburt und auch im Wochenbett. Ihre Hauptaufgabe ist es, der Frau zu dienen und sie ohne Vorurteile, individuell zu unterstützen und zu umsorgen. Sie gibt genau den Input, den die Frau oder das Paar braucht. Früher war es ganz normal, dass eine Schwangere neben der Hebamme noch weitere emotionale Unterstützerinnen (Freundinnen, Tanten, Schwestern etc.) hatte, die sich während der Geburt und der Zeit danach um sie gekümmert haben, bis sie wieder bei Kräften war.

Mit dem Einzug der Geburten in die Kliniken und der mittlerweile viel kleineren Familien, die nur noch selten in der Nähe von einander wohnen, verschwanden diese weiblichen Helferinnen. In der USA wurde ca. 1970 der Beruf der Doula (wieder-)geboren, kam aber erst vor ca. 10 Jahren ganz langsam nach Deutschland. Als Privatleistung werden die Tätigkeiten einer Doula oft als zu teuer angesehen, weil uns von der Wirtschaft suggeriert wird, dass es sich mehr lohnt, z.B. in die Kinderzimmerausstattung zu investieren als in etwas, dass man nicht anfassen kann wie emotionale Unterstützung.

Hinzu kommt auch, dass unser Gesundheitssystem zwar einige Defizite hat, aber verglichen mit vielen anderen Ländern doch noch sehr gut aufgestellt ist und die Krankenversicherungen hier bezahlen jeder Schwangeren eine Hebamme, sollte sie das Glück haben, eine zu finden.

Erwähnenswert ist auch, dass Doulas kleine oder stille Geburten begleiten und Frauen oder Paaren bei einem Abschied zur Seite stehen.

Was sind die Vorteile von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit Unterstützung einer Doula? Welche Frau kommt zu euch oder profitiert und braucht euch? Und für viele eine wichtige Frage: Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?

Die Doula ist deine geburtserfahrene gute Freundin auf Zeit. Die Vorteile in der Schwangerschaft sind, dass du jemanden an deiner Seite hast, der sich absolut nach dir richtet, sich für deine Bedürfnisse interessiert und nach diesen handelt. Du hast also jemanden, den du immer kontaktieren kannst, wenn du Fragen hast und der dich individuell auf deine Geburt vorbereitet. Bei der Geburt hast du dann eine, dir bereits vertraute und speziell ausgebildete Person, während der ganzen Zeit an deiner Seite und auch dein*e Partner*in profitiert von der Unterstützung. In Gegenden, wo es keine Beleghebammen gibt, kannst du durch die Doula eine 1:1 Betreuung bei der Geburt erhalten. Im Wochenbett steht die Doula mit dir im Kontakt und besucht dich nach den ersten Wochen, um dir im neuen Alltag zu helfen oder entspannende Anwendungen anzubieten. Das Motto von Doulas lautet: „Mothering the Mother“.

Zu uns kommen entweder Frauen, die Doulas bereits aus dem Ausland kennen, sich ausführlich mit ihren verfügbaren Geburtsoptionen beschäftigt haben oder bereits eine negative erste Geburtserfahrung gemacht haben und jetzt wissen, was sie (für eine schöne Geburtserfahrung) benötigen.

Leider ist die Unterstützung durch eine Doula eine Privatleistung, auch wenn die Wirksamkeit bereits über Jahre in mehreren Studien nachgewiesen werden konnte. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich durch den Verein Doulas in Deutschland ehrenamtlich unterstützen zu lassen, wenn man sich die Begleitung sonst nicht leisten könnte.

Mit welchen Kosten muss man rechnen?

Je nach Umfang der Leistung, ob mit Geburtsbegleitung oder nur Vor-und Nachbegleitung etc. zwischen 500-1000€.

In eurem Portfolio spielt “Muttertät” eine wichtige Rolle. Was ist das genau und warum ist sie euch wichtig?

Muttertät beschreibt die Phase des Wandels von der Frau zur Mutter. Ähnlich wie die Pubertät ist sie bedingt durch eine sehr starke Flut an Hormonen, ruft körperliche Veränderungen, aber auch das Entstehen einer neuen Persönlichkeit hervor und zwar nach jeder Schwangerschaft.

Die Muttertät ist für uns so wichtig, weil erst durch den Begriff die vielen Gefühle und Erfahrungen real und vor allem „normal“ werden. Bevor es das Wort Pubertät gab, galten viele junge Erwachsene einfach nur als „verrückt“ oder „widerspenstig“. Mit der Einführung des Begriffs wurde klar, dass es eine gemeinschaftlich erlebte Phase ist, also nicht nur vereinzelnd vorkommt, über Monate, auch Jahre andauern kann und vollkommen normal ist.

Die Veränderungen beim Mutter werden sind nicht nur körperlich & hormonell, sondern beziehen sich auf alle Lebensbereiche, auf das Zwischenmenschliche, das Psychische und können auch dafür sorgen, dass wir unser sein anders hinterfragen. Was begegnet euch dazu besonders? Womit schlagen wir uns quasi alle rum und wie weit kann das gehen? Und was für Veränderungen betrifft die Zeit des Mutter-werdens noch?

Welche Ebene sich genau und wie stark verändert, ist in den meisten Fällen sehr individuell. Auch bemerken Frauen oft unterschiedliche Wandlungen bei weiteren Schwangerschaften. Was bei der 1. noch deutlich zu spüren war, muss beim 2. Kind nicht in der gleichen Intensität da sein oder sogar gar nicht vorkommen.

Am ersichtlichsten sind die äußerlichen bzw. körperlichen Veränderungen, denn alle Frauen bemerken, dass sich ihr Körper während der Schwangerschaft und oft auch danach ändert. Hinzu kommt aber auch, dass sich für viele Frauen die Beziehung zu ihrem Körper durch die Schwangerschaft ändert. Je nach Geburtserfahrungen, haben manche eine bessere, wertschätzendere Verbindung zu ihrem Körper oder er wird ihnen plötzlich völlig fremd. 

Sehr häufig verändert sich durch die Elternschaft auch die Paarbeziehung, die Erwartungen an den/die andere werden neu definiert und es kann öfters zu Konflikten kommen. Ein neuer Mensch bewirkt immer auch eine neue Familiendynamik, die jeweiligen Rollen werden angepasst oder erweitert, dadurch kann sich z.B. die Beziehung zu den eigenen Eltern anders anfühlen und alte oder neue Themen kommen zum Vorschein. Auch der Freundeskreis wird mit einem Kind oft anders. Manche Freundschaften gehen (erstmal) auseinander und neue entstehen.

Die neue Welt, die sich schon in der Schwangerschaft durch sämtliche zuvor unbekannte Begriffe, Marken und Dienstleistungen zeigt, kann auch den Wunsch nach beruflicher Veränderung hervorrufen. Viele Frauen machen sich als Mütter selbstständig oder spüren den Wunsch ihr berufliches Dasein neu zu bewerten.

Es gibt auch einige Mütter, die sich durch die Geburtserfahrungen mit ihrer inneren Stimme besser verbinden und sich erst durch die Mutterschaft für Spiritualität öffnen, obwohl sie das zuvor abgelehnt haben.

Viele Mütter berichten uns davon, dass sich ihre Gefühlsskala erweitert. Sie spüren stärkere Wut, aber auch Freude als zuvor. Oft wechseln diese Gefühle sich sogar innerhalb von Sekunden ab, was manche sehr verunsichert und auch mal daran zweifeln lässt, ob die Gefühle so noch „normal“ sind. Außerdem sehen wir, dass Frauen sich für negative Gefühle schämen und diese deshalb nur ungern mit anderen teilen. Das wiederum kann dazu führen, dass sie sich damit allein fühlen und denken, es müsse an ihnen liegen. Hier hilft oft schon, wenn wir sagen, dass auch wir selbst oft dieses oder jenes kennen und fühlen. Zu wissen, dass man nicht die einzige ist, kann wahnsinnig befreiend sein und viel Last von den Schultern nehmen.

Geht das Frauen schon immer so oder waren sie früher besser “aufgefangen”, haben vielleicht auch weniger Rollen erfüllt?

Heute ist der Druck schon besonders groß. Durch Social Media bekommt man täglich vorgelebt, wie Mutterschaft sein sollte und wie glücklich einen dieses Leben rund um die Uhr macht. Viele teilen nur die Highlights und verschweigen die Lowlights, was einigen dann das Gefühl vermittelt, dass es diese gar nicht erst gibt.

Wir denken dann allen würde es leichter fallen als uns und zweifeln an unseren Kompetenzen. Hinzu kommt der gesellschaftliche Druck. Im Job und im Kleiderschrank darf man dir die Mutti nicht anmerken, aber gleichzeitig darf man dir als Mutter auch nicht anmerken, dass du einen Job (oder überhaupt andere Themen als dein Kind) hast. Den Wandel von der Frau zur Mutter haben Frauen bestimmt auch früher schon individuell stark bemerkt, nur gab es mehr Unterstützung von Verwandten (und dem Dorf) oder weniger Leistungsdruck insgesamt.

Allein wenn wir uns anschauen, wie sich die Erwartungen an das Wochenbett im Laufe der Jahrzehnte verändert haben, merken wir, dass Regeneration nicht mehr viel Platz in unserer Leistungsgesellschaft hat. Hochgelobt wird, wem man möglichst schnell nichts mehr von den Strapazen der Geburt ansieht und anmerkt. 

Wieso ist der Begriff für das “Mutter-werden” so unbekannt? Und wie kann die Einführung und Etablierung einer solchen Begrifflichkeit dazu führen, dass wir uns nicht mehr so fremd mit vermeintlich normalen Gefühlen, Belastungen und Veränderungen fühlen?

Das allererste Mal beschrieb die Anthropologin Dana Raphael Anfang der 70ger Jahre, dass ein entscheidender Teil im Leben einer Mutter bisher von der Gesellschaft komplett vernachlässigt wurde. Sie nennt ihn Matrescence, das fehlende Puzzlestück, der Prozess des „Mutter-werden“. Zu dieser Zeit wollten Frauen aber erstmals weg von dem Herd und den Kinderstuben und Mutterschaft galt als Widerspruch zum aufflammenden Feminismus.

Es wird vermutet, dass deshalb erstmal keiner auf den Begriff ansprang und der dazu verfasste Text erstmal 40 Jahre in einer Uni Bibliothek in New York verstaubte. Erst Anfang 2010 begann Dr. Aurelie Athan das Thema neu zu entdecken, zu erforschen und schließlich zu lehren. Es ist also noch eine ganz neue Lehre und sickert noch nicht so richtig rüber nach Europa, vor allem nicht nach Deutschland.

Wieso es noch so unbekannt ist, fragen wir uns selbst auch oft, denn unsere Erfahrung ist, dass Frauen, die davon erfahren, in den allermeisten Fällen sofort angefixt sind und es als große Erleichterung erleben, dass ihre Erfahrung normal ist und auch einen Namen hat.

Erst wenn wir etwas benennen können, können wir es auch beherrschen und uns entsprechend anderen mitteilen. Das Darüber sprechen wirkt oft sehr heilsam für Frauen, die zuvor das Gefühl hatten, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.

Wie bietet ihr in diesem Bereich eure Unterstützung an? 

Wir versuchen den Begriff wie auch die Beschreibung dazu möglichst weit zu verbreiten, denn mit jeder Mutter, der wir dadurch etwas Last von den Schultern nehmen können und klar machen, dass sie absolut gut genug ist, ist auch uns als Gesellschaft geholfen. Entspannte Mütter, die ohne schlechtes Gewissen auf ihre Bedürfnisse achten, können auch viel besser auf die Bedürfnisse ihrer Kinder, ihrer Familie und am Ende auch der Gesellschaft achten. Sie sind weniger ausgebrannt und psychisch sowie physisch gesünder.

Brauchen wir auch in der Gesellschaft mehr Aufklärung über die Muttertät / Matrescence, damit sich das Bild der (klassischen) Mutter verändert? Denn ist es nicht das, was uns Frauen unter Druck setzt oder das was dazu führt uns selbst unter Druck zu setzen, weil wir denken “Das kann doch jeder, also muss ich das auch ALLES schaffen”?

Auf jeden Fall! Sowie Jugendliche heute mehr Empathie von ihren Eltern und der Gesellschaft erhalten, so wünschen wir uns auch für Mütter, dass sie in Zukunft besser verstanden und unterstützt werden. Sie erleben schließlich auch einen Identitätswandel wie Teenager, müssen aber währenddessen mindestens einen kleinen Menschen rund um die Uhr versorgen und können sich nur wenig um sich kümmern.

Es konnte nachgewiesen werden, dass Unterstützung und Mitgefühl von der Umgebung sowie auch von sich selbst die Ups and Downs des erlebten Wandels angenehmer machen. 

Letztendlich wünschen wir uns, dass Mütter sich allgemein besser fühlen, mehr Verständnis für sich haben und ihren Wandel als etwas Positives anerkennen, wie eine Art Upgrade auf verschiedenen Ebenen.

Was kann jeder tun um diese Aufklärung voranzubringen?

Spread the word! Teilt das Thema mit eurer Umgebung! Erzählt eure Geschichte, wie war/ist die Muttertät für euch und was hat sich seit der Mutterschaft geändert? Wichtig ist, dass wir ehrliche Geschichten teilen, nicht nur die Highs, sondern auch die Lows. Auch Mütter haben das Recht, sich über das Muttersein zu beschweren, ohne dass ihre grenzenlose Liebe auch nur ein bisschen angezweifelt wird. Es ist absolut normal, dass wir unser Kind über alles lieben und uns gleichzeitig nach kinderfreien Auszeiten sehnen.

Was glaubt ihr, wie sieht Familienleben 2035 aus?

Es wäre toll, wenn es keine klassischen Mutter/Vaterrollen mehr gibt, stattdessen jeder Elternteil seine Zeit mit und ohne dem Kind so verbringt, wie es für die jeweilige Familie am besten passt. Ganz ohne gesellschaftlichen Druck, der uns diktiert, wie eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein hat. Wir wünschen uns mehr Toleranz, Vielfalt und vor allem Unterstützung für Familien. Sowohl finanziell (bezahlte Care Arbeit) wie auch gesellschaftlich (genügend Betreuungsplätze und ein kindzentriertes Pädagogisches Konzept). 

Bezahlte Carearbeit ist die Voraussetzung für eine allgemeine Anerkennung und Wertschätzung dieser oft „unsichtbaren“ Leistung.