Bindung & Geburt brauchen ihren individuellen Raum

Bindung & Geburt brauchen ihren individuellen Raum

Vielleicht kennst du es selbst, weil du eine (schwere) Geburt hinter dir hast oder sehr unterschiedliche Geburten erlebt hast, die ein sehr diffenrenzierten Einfluss auf dich hatten und/oder dich in in deiner anfänglichen Bindung zu jedem Kind anders beeinträchtigt haben: Wie wir in das Muttersein (von jedem Kind) starten, hängt von so vielen verschiedenen Faktoren ab!

Da sind gesellschaftliche, traditionelle, erzieherische Vorstellungen, die schon vor und in der Schwangerschaft ihren Platz in uns haben. Auch partnerschaftliche können unter, vor und nach der Geburt eine Rolle spielen. Besonders relevant ist wahrscheinlich alles situative, wie der Arzt, die Hebamme, der Raum oder Kreißsaal, Zeit und Überlastung des Betreuungspersonals. Und dann gibt es auch noch die Faktoren Information, Bildung und Kommunikation: Kenne ich die Rechte, die ich unter der Geburt habe, weiß ich aus eigenen Erfahrungen schon etwas über die Geburt, habe ich mich mit meinen Möglichkeiten und Wünschen auseinandergesetzt? Traue ich mich diese auszusprechen? Weiß ich was ich will und keinesfalls will?

Und was passiert, wenn all das oder einfach gar nichts nach Plan oder unseren Vorstellungen läuft und ich merke, dass ich damit schlecht zurechtkomme?

Wir haben heute einen sehr emotionalen Erfahrungsbericht von einer Mama, die über ihre beiden sehr unterschiedlichen Geburten spricht und vor allem über die Folgen dessen. Marlene Mika ist davon überzeugt, dass Wunden heilen, wenn wir über sie sprechen, sie teilen und uns als Mamas damit gegenseitig helfen und unterstützen. – Wir auch liebe Leni!

Das gesellschaftliche Bild vom Muttersein

„Man sagt: „Zeit heilt alle Wunden.“ Ja, sicher ist da auch etwas Wahres dran, aber es braucht sicher mehr, wenn um das Thema Geburt geht. In einer Gesellschaft in der Frausein so eng mit dem Kinder kriegen verknüpft ist, in der es ein sehr altes und starres Bild von Mutterschaft gibt, ist es schwer mit allem was dem nicht entspricht klar zu kommen. Was passiert, wenn ich nicht die Glocken läuten höre, wenn mein Kind auf die Welt kommt? Was ist, wenn ich erst Überforderung und Angst spüre anstelle von unseligem Glück?

So geht es laut dem Ärzteblatt 10-15% der Frauen, doch ganz sicher ist die Dunkelziffer höher. Es ist ein Scham besetztes Thema und doch ein so unendlich Wichtiges. Wir müssen darüber sprechen, welche Rahmenbedingungen für eine selbstbestimmte und positive Geburt gegeben sein müssen, was hinderlich für eine solche ist. Wir müssen hinschauen und erkennen, dass Muttersein nicht glorifiziert werden darf, sondern auch seine Schattenseiten hat und dass das völlig ok ist. Wir müssen verstehen und annehmen, dass es verschiedene Wege der Liebe gibt und Liebe, die sich aufbaut nicht weniger wert ist, als die die von Beginn an da ist. Wenn Frau zur Mutter wird geschieht eine Transformation, eine der Größten überhaupt, und sie endet nicht mit der Geburt. Sie geht weit darüber hinaus und ist so unterschiedlich wie wir Menschen es sind.

Meine erste Schwangerschaft & Geburt – Vorstellung vs. Realität

Als ich unser erstes Kind erwartete war ich überwältigt vor Glück. Ich schwor mir und meinem Bauch, dass ich dieses Kind in all seinem Sein lieben, auf es aufpassen und mein Bestes als Mama geben würde. Ich hatte eine völlig problemlose Schwangerschaft und die passte hervorragend dazu, dass dieses Kind gewollt, geplant war. Von Themen wie „selbstbestimmte Geburt“ oder „Gewalt unter der Geburt“ hatte ich nichts gehört und diese Themen schienen auch so weit entfernt für mich wie ein Ausflug zum Mond. Ich hatte keinen Geburtsplan, wollte mit meinem Kind den Weg gehen, den es für uns aussuchte und mich auf die Situation einlassen.

Ich hatte über Hypnobirthing gelesen, Yoga gemacht, das richtige Atmen geübt und war so voller Vorfreude, dass ich mir nicht vorstellen konnte etwas Negatives könnte die Bindung, die ich bereits mit diesem Wesen in meinem Bauch geschlossen hatte, ins Wanken bringen.

Als ich zur Geburt ins Krankenhaus kam war dort viel los. Unüblich für den Kreißsaal, hieß es. Ich lernte die erste Hebamme kennen, die uns postwendend wieder nach Hause schickte. Auch das war völlig ok für mich, wir wohnten ja nicht weit. Etwas freundlicher hätte sie es sicher formulieren können, aber darüber konnte ich gut hinwegsehen, es war ja viel los – ich nicht die einzige Schwangere.

Für Geburtsbetreuung gab es keine Zeit

Als wir zum zweiten Mal dann in den Kreißsaal kamen wurde ich aufgenommen, aber nicht betreut. Ich sollte herumlaufen, mich auf der Station nochmal ausruhen und schlafen. Niemand half mir mit der richtigen Atmung um die Wehen erträglicher werden zu lassen oder fragte, ob ich vielleicht etwas homöopathisches anwenden möchte, ob ich auf einem Ball wippen möchte, mir ein Bad gut tun würde oder Musik. Ich war auf mich allein gestellt und sollte laufen. Um fair zu bleiben muss ich sagen, dass mein Mann an meiner Seite war und versuchte mir zu helfen. Er hielt mich, wenn mich eine Wehe überkam, er sorgte dafür das ich ausreichend trank, massierte mich wenn ich es wollte und ließ mich in Ruhe, wenn ich es brauchte.

Unsere Geburt ging anscheinend nicht schnell genug

Nach 10 Stunden hielt ich es nicht mehr aus und bat um eine PDA. Anscheinend ging unsere Geburt nicht schnell genug für die Hebammen vor Ort, denn ziemlich genervt wurde der Anästhesist gerufen.

Mein Mann wurde rausgeschickt, ich entschuldigte mich für die Umstände und dafür, dass ich keine zwei Minuten in der gebeugten Position verharren konnte, da die Wehen nun minütlich kamen. Die Hebamme im Raum interessierte sich weder für meine Schmerzen, noch motivierte sie mich vielleicht doch auf die PDA zu verzichten da die Geburt langsam Fahrt aufnahm. Sie unterhielt sich lieber über ihr Wochenende und ich schien in diesem Moment einfach nur zu stören. Ich glaube das war der Moment als mein Körper sich sagte, „so, ich mach jetzt eine Pause“ und es zum Geburtsstillstand kam. Erst Jahre später wurde mir klar, warum es dazu kam und das nicht ich Schuld daran war, sondern die Rahmenbedingungen.

Die Wehen gingen und die Zeit verstrich. Ab und zu schaute mal jemand nach mir, entschuldigte sich, dass es nicht öfter passiere, aber an diesem Tag sei einfach untypischer Weise so viel los.

Irgendwas war nicht mehr in Ordnung

Nach weiteren sieben Stunden bekam ich Fieber und Schüttelfrost und spürte, das irgendetwas nicht mehr in Ordnung sei. Ich bat meinen Mann nach einer Hebamme zu suchen und erst dann lernte ich eine Hebamme vor Ort kennen, die mich „sah“. Sie reagierte sehr schnell, holte eine Ärztin und ich musste mich zwischen der Saugglocke und einem Kaiserschnitt entscheiden. Für diese Entscheidung blieben uns 5 Minuten.

Das war die Situation vor der ich am meisten Angst hatte. Zu Beginn meiner Schwangerschaft wollte ich einen geplanten Kaiserschnitt, zu groß die Furcht eine natürliche Geburt nicht zu schaffen. Doch mit der Zeit, mit der wachsenden Bindung zu unserem Puck wuchs in mir der Wunsch den Weg mit meinem Kind zu gehen, den es sich aussucht.

Doch nun 17 Stunden in den Wehen zu liegen, mit Fieber und dann, nach all dem doch keine natürliche Geburt erleben zu können, war für mich überfordernd. Ich entschied mich für die Saugglocke, denn ich wollte für uns diese letzte Chance.

Wie geht das schönste Willkommen in so einem Moment?

Unter zwei Ärzten, einer Hebamme, ziemlich grellen Licht, keiner Wehen – sondern Bauchmuskelkraft kam unser erster Sohn zu Welt. Gesund, so schön und so zierlich. Und ich? Ich war nur noch erschöpft, ausgelaugt, müde und nahm alles worauf ich mich doch so gefreut hatte, wie durch Watte wahr. Der Arzt erklärte mir, was er zu nähen hätte, nachdem er mit festen Druck auf meinen nun so leeren Bauch, die Plazenta herauspresste. Gleichzeitig hielt ich meinen Sohn und wollte ihm doch eigentlich das schönste Willkommen auf dieser Welt bereiten. Aber wie geht das in so einem Moment. Welche Stimmung nimmt er wahr, wenn ich Schmerzen habe, mir zu viele Leute im Raum sind, das Licht zu hell ist und ich in diesem fürchterlichen Frauenarztstuhl gefangen bin?

Mein Mann weinte vor Glück, die Ärzte gratulierten mir und die Hebamme half mir unser Kind das erste Mal anzulegen. Auch hierfür wollte ich doch eigentlich Zeit haben, Zeit damit unser Sohn diesen Weg alleine finden darf, damit er sich auch nach dieser Anstrengung erst einmal ausruhen kann.

Es kam alles anders als geplant

Ich merkte in diesen ersten Stunden, dass unser Beginn anders werden würde, als ich ihn mir gewünscht und vorgestellt hatte.

In den darauffolgenden Wochen und Monaten weinte ich viel, zweifelte an mir, meinen Gefühlen und an meinen Kompetenzen als Mama. Ich sagte unser Kind würde den Papa mehr lieben als mich, und tatsächlich kam Puck bei meinem Mann besser zur Ruhe als bei mir.

Ich fragte meinen Mann wie ich was machen sollte und er sagte zu mir „Du kannst nichts falsch machen, du bist seine Mama. Das steckt alles in dir“. Aber wenn ich in mich hineinführte war da Leere und tiefe Traurigkeit.

Es hat Jahre gebraucht um über diese Erfahrung hinwegzukommen, es brauchte Zeit und es braucht viel Übung zur Selbstliebe um dieses Versagensgefühl, dieses Gefühl dass ich nicht vor Glück zersprungen bin zu akzeptieren und anzunehmen.

Aber ich konnte auch erleben wie Liebe entsteht, wie sie wächst und dass diese Liebe genauso stark ist wie Liebe, die nicht von einer dunklen Wolke überschattet wird.

Ein völliger Kontrast war die Geburt unseres zweiten Sohnes

4 Jahre später. Ich ging genauso gelassen in die Geburtsvorbereitungen wie das erste Mal. Auch die zweite Schwangerschaft war sehr schön und unkompliziert. Aber Dank eines großen Bruders und Corona mit Homeoffice, zwei Jobs und Kinderbetreuung ganz anders. Ich machte mir viele Gedanken, ob die wenige Zeit, die ich in der Schwangerschaft für uns hatte Auswirkungen auf unsere Bindung haben würde. Ich brachte andere Themen mit und war für vieles sensibilisierter. Ich suchte mir eine Geburtsstation aus, die Wert auf eine natürliche und selbstbestimmte Geburt legt und die eine 1 zu 1 Betreuung während der Geburt gewährleistet. Ich beschäftigte mich intensiv mit Hypnobirthing und fertigte eine Wunschliste an, was für mich und unsere Geburt schön und wichtig sei.

Darauf stand zum Beispiel, dass ich gerne in der Wanne gebären würde, oder auch, dass mir wichtig ist Zeit für das Kennenlernen zu haben und das ich direkt nach der Geburt gerne kurz ganz alleine mit unserem Kind sein möchte. Das war mir wichtig, um den Übergang von im-Bauch zu auf-dem-Bauch ganz bewusst zu erleben. Ich merkte den Unterschied der Rahmenbedingungen bereits bei den Voruntersuchungen als ich Krümel übertrug:

Da war kein Druck, sondern Angebote und viel Geduld

Und tatsächlich machte sich Krümel 10 Tage nach ET von selbst auf den Weg, gab das Signal: Jetzt bin ich bereit.

Wir wurden mit viel Ruhe und Wärme empfangen, hatten einen eigenen Kreißsaal ganz für uns alleine und eine Hebamme die uns die gesamte Geburt zur Seite stand. Es wurde auf Licht, Wärme und Geruch geachtet, darauf, dass ich mich unter den Wehen gut und wohl fühlte. Es war die perfekte Balance zwischen Begleitung und Ruhe die ich brauchte, um zu gebären. Und das Wichtigste: Ich wurde als selbstbestimmte Frau gesehen, die die Kompetenzen mitbringt und intuitiv weiß, was sie braucht.

Und was machen solche Rahmenbedingungen mit einer Frau?

Meine Selbstwirksamskraft wuchs.

Ich hatte zu keinem Moment den Wunsch nach einer PDA. Nicht weil ich keine Schmerzen hatte, sondern weil ich mich stark genug fühlte und mit meinem Körper und Kind eins sein konnte, um diese Geburt zu erleben. Ich verlor sehr wenig Blut und konnte deshalb auch nach wenigen Stunden nach Hause gehen. Ich hatte meinen Willkommens-Moment mit Krümel. Wurde von allen einmal ganz in Ruhe gelassen und durfte ausatmen – ankommen. Ich bekam den Moment, den ich so sehr vermisste bei unserem Großen. Krümel und ich durften noch im Wasser bleiben, im Hier und Jetzt und uns entspannen. Danke sagen und uns begrüßen und dadurch realisieren was wir zwei da gerade geschafft hatten.

Ohne Geburtsstillstand, ohne Druck durch Rahmenbedingungen und auch ohne Druck auf den Bauch, denn auch die Plazenta durfte sich von sich aus, ganz entspannt lösen.

Da war es, dieses unglaubliche Glücksgefühl

Diese allumfassende Liebe vom ersten Moment an und ja, es war magisch für mich. Besonders faszinierend fand ich, dass ich nicht einmal in den Babyblues fiel. Das da kein Tag war an dem ich mich, meine Liebe und Kompetenz als Elternteil in Frage stellte und ich völlig bei mir bleiben durfte.

Und genau durch dieses Erlebnis wurde mir nochmal bewusst, wie unendlich wichtig die Geburtssituation ist und durch welche kleinen Details eine Lawine ausgelöst werden kann.

Ich bin mir sicher, hätte ich unser erstes Kind unter anderen „Umständen“ geboren, wäre es eine ähnliche Geburt gewesen wie beim zweiten. Ich bin mir sicher, dass es mir psychisch sehr viel besser gegangen wäre und auch, dass unsere Bindung unser Vertrauen ineinander einen anderen Start hätte haben dürfen.

Ich liebe beide meine Kinder sehr, und keines mehr oder weniger. Ich habe zwei ganz unterschiedliche Kinder und sehe sie mit ihren Stärken und ihren Herausforderungen. Ich sehe sie beide mit Liebe.

Nicht nur die Zeit heilt alle Wunden

„Zeit heilt alle Wunden“ heißt es so schön. Ich denke aber die Wunden heilen besonders, wenn wir über unsere Erfahrungen sprechen. Wenn wir sie teilen und so uns Mamas gegenseitig helfen können und unterstützen. Das wir dadurch erfahren, dass wir eine von vielen sind und nicht alleine. Das es ist ok ist, manchmal zu hadern oder mit Sehnsucht an das Leben vor den Kindern zu denken. Und das Liebe die wächst genauso wertvoll, ebenso innig und richtig ist, wie Liebe die vom ersten Moment an so stark und selbstverständlich ist.“