Warum sinkt das Selbstwertgefühl nach der Geburt?

Warum sinkt das Selbstwertgefühl nach der Geburt?

Mit dem ersten Baby verändert sich – und das ist kein Geheimnis – unglaublich viel im Leben. Ein neuer Mensch ist da, will versorgt, geliebt und betreut werden. Und mit der Geburt deines Kindes wirst auch du zum ersten Mal Mutter. Auf einmal bist du ganz anders gefordert, siehst dich selbst anders, wirst anders wahrgenommen von PartnerIn und Gesellschaft. In dieser Umbruchszeit passiert auch innerlich viel und nicht selten leidet das eigene Selbstwertgefühl. Carolin ist Coach bei Soul Rebel Coaching und begleitet Mütter auf dem Weg zum Wiedereinstiegt nach. In vielen Gesprächen hat sie festgestellt, dass das Selbstwertgefühl vieler Mamas nach der Geburt stark gesunken ist. Warum ist das eigentlich so? Müsste es nicht eigentlich im Gegenteil haushoch über Allen hängen – nach dieser unglaublichen Leistung? Carolin hat uns hier ein paar Gründe für dieses Phänomen zusammengestellt und natürlich auch ein paar Tipps, wie wir wieder zu mentaler Stärke und Selbstbewusstsein finden.

Selbstwertgefühl mit dem 1. Baby – Wunsch vs. Realität

Immer wieder beobachte ich Frauen, die sich das Leben mit dem ersten Kind anders vorgestellt haben. Vor allem, weil sie eine andere Erwartung hatten, wie es sich anfühlen würde, Mutter zu sein. Sie wollten sich empowered, kraftvoll, zufrieden und selbstbewusst fühlen und diese Facetten, die sie aus ihrem bisherigen Leben durchaus auch schon von sich kannten, auch ihrem Kind mitgeben.

Stattdessen machen Mütter oft die Erfahrung, dass sie den Draht zu sich selbst verloren haben, sich kraftlos und oft überfordert fühlen. Gepaart mit den körperlichen (hallo Schlafmangel) und psychischen Herausforderungen (hello Mental Load) kann das Selbstwertgefühl leiden.

Dass das Selbstwertgefühl von Müttern sinkt, belegt auch eine repräsentative Studie “Self-Esteem and Relationship Satisfaction during the Transition to Motherhood” aus dem Jahr 2017, in der ca. 85.000 norwegische Mütter Fragen zu ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Zufriedenheit in der Partnerschaft beantworteten. Über alle Schichten und Altersgruppen hinweg zeichnete sich deutlich ab: Während der Schwangerschaft sank das Selbstwertgefühl, stieg dann ab Geburt bis zum ca. 6. Lebensmonat des Babys, fiel dann wieder ab und sank konstant. Es gibt Hinweise, dass das Selbstwertgefühl etwa nach dem 3. Lebensjahr wieder steigt und die Effekte bei den folgenden Kindern weniger stark sind.

Nichtsdestotrotz: Das Selbstwertgefühl sinkt.

Warum sinkt das Selbstwertgefühl mit dem ersten Baby

Wenn du gerade beim Lesen festgestellt hast, dass du dich mit Zweifeln an dir selbst, nicht mehr allein fühlst, gibt es im Folgenden 4 Punkte, die dir mehr Erklärung bieten.

  1. Körperliche Veränderungen und Herausforderungen

    Dein Körper leistet während Schwangerschaft, Geburt und in der Stillzeit Bemerkenswertes. Gleichzeitig bist du gefordert, dich ständig an diese damit einhergehenden körperlichen Veränderungen anzupassen. Wachsender Bauch und Brüste, dann auf einmal ein leerer Bauch, eventuelle Stillprobleme. Dieser veränderte Körper erscheint manchmal einfach nur wie ein weiterer Part, der nicht so ist, wie gewohnt und manchmal eben ganz anders aussieht als es unrealistische Schönheitsideale vorleben. Nein, du musst nicht nach 3 Wochen wieder in die alte Jeans passen und dennoch haben viele Frauen oft unbewusst diesen Anspruch an sich.

  2. Psychische Herausforderungen

    Zu den Veränderungen deines Körpers kommt die gewaltige Veränderung deines Schlafes hinzu. Du wirst wahrscheinlich bisher nicht nur einmal erlebt haben, wie dünnhäutig du nach einer durchwachten Nacht mit schmerzendem Rücken bist. Fehlender Schlaf geht an die psychische Belastbarkeit.

    Kommen dann von anderen, z.B. Freundinnen mit oder ohne Kind Kommentare wie: “Ach dein Kind schläft immer noch nicht durch?”, fallen die Selbstzweifel nur zu gern mit der Tür ins Haus. Denn warum tut es das nicht? Muss ja an dir selbst liegen. Warum bekommen es alle anderen hin, nur du nicht? (Und so nebenbei: die sehr überwiegende Mehrheit an Müttern und Vätern hat keine Kinder, die nach 3 Monaten durchschlafen.)

    In der Überforderung mit dem Berg an neuen Aufgaben und der Verantwortung für – nun ja, eben ein komplettes Leben eines Menschen – fällt es oft schwer, der eigenen Stimme zu vertrauen. Stattdessen werden die Zweifel an den eigenen Fähigkeiten immer lauter.

    All das, was es zu erledigen gilt (Stillen, windeln wechseln, füttern, Verabredungen planen, Geschenke besorgen, Anträge ausfüllen, Kochen, Hausarbeit, Mails schreiben, Kontakte pflegen…) wird erdrückend groß und am Ende des Tages bleibt das Gefühl, doch nicht wirklich etwas geleistet zu haben. Denn das, was Du vorher als Leistung definiert hast (zum Beispiel deinen Job, Überstunden, dein Gehalt etc.), hast du im Moment ganz oder teilweise durch Care-Arbeit ersetzt. Die Frage nach dem Gefühl für den eigenen Beitrag wird lauter.

  3. Beziehungsprobleme

    Und da kommen wir direkt zu den Veränderungen in der Beziehung mit dem anderen Elternteil. Ihr beide lernt euch noch einmal ganz neu kennen: Als Mutter und Vater. Und auch die oben angesprochene norwegische Studie zeigt einen Zusammenhang zwischen sinkendem Selbstwert der Mütter und ebenfalls sinkender Zufriedenheit in der Partnerschaft.

    In vielen Beziehungen geht der Vater meist Vollzeit erwerbsarbeiten. Nur 4 von 10 Vätern gehen überhaupt in Elternzeit und davon die meisten nicht mehr als 2 Monate. Und darin kann eine Ursache für die Beziehungsprobleme und damit einhergehendem sinkenden Selbstwertgefühl liegen.

    Die Mutter ist die meiste Zeit mit dem Kind zu Hause, muss sich den ganzen oben genannten Veränderungen tagsüber oft allein stellen. Oft kommt aus dem Umfeld nicht die eigentlich nötige und wichtige Anerkennung für das, was sie an Care-Arbeit leistet. Sie ist ausgelaugt und erschöpft und oft wird es als selbstverständlich angesehen und nicht verstanden, warum sie denn nun nicht glücklich ist, denn sie hätte ja nun das Baby, dass sie sich immer gewünscht hat. (Leider alles schon gehört.)

    Der Partner wiederum hat in seinem Umfeld meist die gewohnten Rahmenbedingungen und durch sein Gehalt – was leider oft der wichtigste Wertmaßstab ist – eine Wertschätzung oder für sich selbst die Legitimation sich aus bestimmten Verantwortungsbereichen herauszuziehen.

    Hier könnten wir tiefer einsteigen in das Thema Mental Load und gleichberechtigte Elternschaft, die weitere Erklärungen für ein sinkendes Selbstwertgefühl liefern.

    Ich beobachte oft, dass Frauen an diesen Punkten neidisch oder missgünstig werden auf die Lebensbedingungen ihres Partners. Und dies wiederum agieren sie oft unterschwellig aus, sodass eine angespannte Atmosphäre herrscht, die schneller zu Streits führt anstatt zu konstruktiven Diskussionen.

  4. Soziale Veränderungen

    Freundschaften verändern sich oder lösen sich auf

    So schön es ist, als Mutter auf einmal wie in einer Art neuen Geheimbund aufgenommen zu sein (plötzlich lächeln dich fremde Mütter auf der Straße an, weil sie wissen, wie es dir geht), ist es ebenso auch im sozialen Bereich eine große Veränderung, die du bewältigen musst. Manchmal führen diese Veränderungen zu Verlust oder sind schmerzhaft. Wenn sich bspw. langjährige Freundschaften mit kinderlosen Freundinnen verändern oder auflösen, weil die unterschiedlichen Rahmenbedingungen ein gegenseitiges Verständnis erschweren, dann kann es am eigenen Selbstwert nagen, weil du dir innerlich Vorwürfe machst, du hättest es doch besser machen können. Und gleichzeitig können dich die Fragen quälen: Wo gehöre ich jetzt wirklich dazu? Wo werde ich verstanden? Die berufliche Wiedereinstieg wird oft erschwert.

    Hier als letzter und nicht weniger wichtiger Punkt genannt. Auch wenn es sich wandelt und viele Initiativen dafür kämpfen, dass Unternehmen flexible Wiedereinstiege und Karrierewege für erwerbstätige Mütter ermöglichen, ist das leider noch nicht flächendeckende Realität.

    Wenn der Wiedereinstieg erschwert wird, etwa weil die alte Position auf einmal neu besetzt und keine wirklich attraktive Alternative angeboten wurde, kann das eigene Selbstwertgefühl leiden. Frauen beziehen diesen Umstand leider oft auf sich, obwohl es ein strukturelles Problem ist. 

Wie kannst du dein Selbstwertgefühl aktiv stärken?

Bei all den oben genannten Gründen, geht es darum, Verständnis für dich zu schaffen. Und zwar dafür, wenn du dachtest, etwas würde mit dir nicht stimmen, weil du nicht die ganze Zeit super glücklich mit deinem Baby bist. Wenn du nicht eine erfüllte Mutter-Vater-Kind-Beziehung führst, wie du es dir erträumt hast. Wenn du nicht inspiriert in deinen alten Job zurückgekehrt bist und dich stattdessen dort nicht wertgeschätzt fühlst. Du bist damit nicht allein.

Und jetzt kommt die gute Nachricht: Du kannst aktiv etwas daran ändern und dein Selbstwertgefühl wieder steigern. Du kannst genau das selbst in die Hand nehmen.

Selbstfürsorge – Hol dir Zeit für dich

Um die eigenen Energiespeicher aufzuladen und Schlafmangel zu kompensieren, schaffe dir Raum für Erholung und Entspannung. Das kann ein heißes Bad sein, eine Yoga-Einheit oder eine Runde spazieren – allein! – an der frischen Luft. Höre in dich hinein, was dir gut tun würde und sorge dafür, dass du es bekommst.

Und hier ganz wichtig: Du darfst das einfordern. Auch wenn du ja “bloß” zu Hause warst. Auch wenn dein Partner auch gestresst ist und einen harten Tag hatte. Schafft am besten klare Absprachen, wie viel Raum jede/r von euch für Selbstfürsorge bekommt.

Gib dir selbst Anerkennung – Mach es zur Routine

Einen wertvollen Tipp, der mir einmal in Bezug auf das Muttersein gegeben wurde, möchte ich gern weitergeben:” Wenn keiner dir am Ende des Tages sagt, was du für einen geilen Job gemacht hast, dann musst du es dir selbst sagen. Egal, ob du es in dem Moment glauben kannst.”

Worum es dabei geht? Du stellst dich auf den Standpunkt, dass das, was du an Care-Arbeit täglich leistest, wertvoll ist und Anerkennung verdient, egal ob du diese Anerkennung ausreichend von außen bekommst.

Dabei unterstützt dich, eine Anerkennungsliste zu erstellen, die Du täglich mit 3 Dingen befüllst, für die du dir selbst auf die Schulter klopfst. Wichtig dabei: es können noch so kleine Dinge sein, wie etwa einen Brief zur Post gebracht zu haben oder dass du durch den Tag trotz dieser krassen Nacht gekommen bist und trotzdem 5 Minuten gelesen hast. Mach deine Anerkennung zur Routine und gib sie dir selbst, statt auf Anerkennung von außen zu warten.

Such dir deine Verbündeten

Du lernst viele neue Menschen kennen als Mutter. Schließe Kontakt zu denen, zu denen du schnell eine Verbindung spürst und mit denen du einen ähnlichen Vibe hast. Teile deine Gedanken und Herausforderungen mit. Du wirst die Erfahrung machen, dass du auf Verständnis und Unterstützung stößt und es den anderen genauso geht. Alle haben ihre Notfall-Lösungen für harte Zeiten und sind deshalb keine schlechten Eltern. Jeder muss mal aufgefangen werden. Eine gute Support-Gruppe gibt dir genau dieses Gefühl. (link Facebook Gruppe Social Moms)

Gehe in ehrliche Kommunikation mit deinem Partner

Nutze alle deine Gefühle als Wegweiser. Auch wenn du Neid oder Missgunst gegenüber deinem Partner spürst, zum Beispiel, weil er in deinen Augen viel weniger Veränderungen erlebt und händeln muss, dann nimm diese Gefühle ernst. Sie sind völlig in Ordnung. Sie dürfen da sein und sie zeigen an, dass etwas für dich nicht stimmt. Spüre in dich hinein und frage dich: Was brauche ich von meinem Partner? Was wünsche ich mir von ihm, dass er tut?

Auch hier gilt wieder: Du darfst das. Du darfst auch deine eigenen Entscheidungen ändern. Erst indem du überhaupt in den Austausch gehst, kann sich etwas ändern.

Ändere deine Arbeitsbedingungen – ein Job der zu deinem Leben passt, nicht andersrum

Wenn es um den Wiedereinstieg geht, stell dich auf den Standpunkt: Du bist mit Kind genauso wertvoll wie früher. Punkt. Ausrufezeichen. Das ist die Basis.

Und wenn du feststellst, dass dir Steine in den Weg gelegt werden, frage dich: Willst du die Bedingungen ändern?

Wenn ja, dann geh dort in deinem alten Unternehmen für dich los. Setz dich für anderen Bedingungen ein. Du übernimmst damit nicht nur für dich, sondern auch für kommende Mütter eine wichtige Vorbildfunktion. Es mag nicht immer zum Erfolg führen und dennoch beziehst du damit Stellung für dich.

Wenn nein, dann geh’ gezielt auf die Suche nach Unternehmen und Jobs, die dir die Rahmenbedingungen bieten, die zu dir und deinem Leben passen. Du bist nicht dazu da, dass du dich und dein Leben an deinem Job anpasst. Sondern der Job soll in dein Leben und zu dir passen.

Hol dir Unterstützung und Begleitung

Und zu guter letzt: Wenn du feststellst, dass du bei den oben genannten Punkten nicht die Effekte und Ergebnisse erzielst, die du dir erwünscht, ist das in Ordnung. Sie sollen keinen zusätzlichen Druck aufbauen, denn du brauchst nicht noch mehr Belastung. Gerade sich eigene Anerkennung zu schenken, für sich selbst Raum zu schaffen und die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die dir gut tun zu gestalten, kann herausfordernd sein. Oft kommen in dem Zusammenhang auch alte unbewusste Zweifel und Denkmuster ins Spiel, die dich bei gewünschten Veränderungen behindern.

Du musst das nicht alles selbst entwirren und lösen. Hol’ dir Unterstützung und Begleitung, zum Beispiel in Form von Coaching oder Beratung bei entsprechenden Expertinnen. Dadurch kannst du dich meist schneller und lösungsorientierter sortieren und wirst im Veränderungsprozess begleitet.

Photo by Derek Thomson on Unsplash